Der Selbstmord der Presse

„Die wirtschaftlichen Auswirkungen werden wir vor Ort spüren. Hier bei uns werden Arbeitsplätze und Existenzen daran zu Grunde gehen.“ Das schreibt der Kommentator meines örtlichen Anzeigenblättchens nur drei Tage nach der Entscheidung der Briten für den Austritt aus der EU, dem sog. Brexit. Woher weiß er das schon? Woher kennt überhaupt irgendjemand schon die Folgen? Denn es kann ja noch gar keine gesicherten Erkenntnisse über die Folgen geben. Was es aber schon seit Wochen gibt, sind die düsteren Prophezeiungen führender deutscher Politiker und Wirtschaftsführer. Dieses Negativ-Szenario wurden von den deutschen Medien willig aufgegriffen und im Volke verbreitet. Und irgendwann ist es dann – wie man oben lesen kann – auch beim letzten deutschen Anzeigenblättchen angekommen: der Brexit ist für alle Beteiligten und Betroffenen schlecht und überhaupt böse.

Wieso haben die Briten dann aber dem EU-Austritt mehrheitlich zugestimmt? Weil sie auch schlecht und böse sind? Soweit will mein Kommentator dann doch nicht gehen, aber er bleibt bei der einmal festgelegten Argumentationsrichtung. Die Briten haben nach seiner Meinung so abgestimmt, weil sie von schlechten und bösen Politikern verführt worden sind. Das klingt dann so: „Der Brexit war keine Abstimmung über volkswirtschaftliche Zusammenhänge ….. die Kampagne der Leave-Bewegung richtete sich an die Ängste der Bevölkerung..... Das ist kleingeistig, aber so ist das vielleicht, wenn das „Volk“ befragt wird und spricht.“ Die Stimmen der Vernunft im Kampf mit der Welt des Bösen und dazwischen das englische Volk als kleingeistiges Stimmvieh. Starker Tobak, aber ist das inzwischen regelmäßig so, wenn unsere Medien Meinung machen. Denn was der - von der großen Weltpolitik sicher überforderte Lokaljournalist- da von sich gibt, hatten seine weltläufigeren Kollegen ihm schon genau so vorgekaut. Und die hatten dabei wiederum selber nur das nach „unten“ weiter gegeben, was ihnen die EU-Befürworter in Politik und Wirtschaft in den Mund gelegt hatten.

Presse als verlängerter Arm des Bundespresseamtes und der Pressestelle des deutschen Industrieverbandes, das ist aber genau das Gegenteil von Qualitäts-Journalismus. Guter Journalismus bringt nicht nur offizielle Stellungnahmen unters Volk, sondern hinterfragt die Argumente dieser Stellungnahmen und fragt vor allem nach den dahinter stehenden Interessen. Jeder Schuljunge weiß doch, dass die Ergebnisse einer Studie über die Auswirkungen des Rauchens sehr stark vom Auftraggeber der Studie abhängen. Ob es die Zigarettenindustrie ist oder die Nichtraucher-Liga. Ein Journalist muss an diese interessengesteuerten Quellen einer Argumentation, wenn er sie verstehen und seinen Lesern oder Hörern erklären will. Wer aber zur Quelle will, der muss gegen den Strom schwimmen.

Genau daran fehlt es im deutschen Journalismus immer mehr: am Mut, den Mainstream zu hinterfragen oder sich sogar gegen ihn zu stellen. Denn das macht Arbeit und bringt Ärger. Mit den Vorgesetzten und eventuell den Vorgesetzten der Vorgesetzten. Und wer hat nicht Angst um seinen Arbeitsplatz, weil er eine Familie ernähren oder ein neues Auto finanzieren muss. Das war in der DDR nicht anders und das war einer der zentralen Gründe für die miese Qualität der dortigen Medien. Der Preis dieser Überlebensstrategie der DDR-Journalisten war hoch: die DDR-Bürger haben in ihrer großen Mehrheit ihre eigenen Medien nicht mehr ernst genommen und sind zu den westlichen Medien übergelaufen. Dieses Desertieren kann man in den letzten Jahren auch in der Bundesrepublik erleben: die Bürger fühlen sich von Zeitungen und Rundfunk- und Fernsehsendern nicht mehr informiert und wandern deshalb ins Internet ab. Weil sie das Gefühl haben, dass es dort noch Journalismus gibt, der nachfragt und nicht nachplappert. Selbst wenn manche Internetseiten manchmal übers Ziel hinaus schießen.

Fazit: die meisten deutschen Medien machen sich inzwischen so mit der Meinung der Herrschenden gemein, dass sie ihrer Rolle als kritische 4. Gewalt nicht mehr gerecht werden. So verstehe ich auch die Bezeichnung „Lügenpresse“. Die Journalisten lügen nicht absichtlich, sie suchen einfach nicht mehr nach der Wahrheit, d.h. nach den Interessen hinter den Argumenten. Das gilt nicht nur für den Brexit, das galt auch für den möglichen Grexit, die Ukraine, die Flüchtlingsfrage und eigentlich für fast jedes wichtige Thema der letzten Jahre. Deshalb laufen ihnen auch völlig zu Recht Leser, Hörer und Seher weg. Weil ihnen das Hören und Sehen vergangen ist.

Der Freund vom Herrn Platte zum Stein

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