Hätte, wenn und aber - alles Rhabarber

Seit 14 Tagen bin ich aus der Kur zurück. Und natürlich ist in den 4 Wochen meiner Abwesenheit der Stapel ungeöffneter Briefe und nicht gelesener Zeitungen nicht kleiner geworden. Beim Überfliegen der ZEIT bleibe ich an der Überschrift: „Abwarten oder operieren?“ hängen.

Bei dem Beitrag handelt es sich einen Artikel über den Prostatakrebs, der bei mir vor drei Jahren festgestellt und vor einem Jahr entfernt wurde. „Na, Klasse!“, denke ich mir. „Mal sehen, was es Neues gibt.“ Und richtig, außer der Information, dass amerikanische Forscher dabei sind, einen Test zu entwickeln mit dessen Hilfe die Urologen erkennen können, ob der festgestellte Prostatatumor bösartig ist und behandelt werden muss, oder eben nicht, enthält er keine mir bekannten Neuigkeiten.

Nun ja, was helfen mir jetzt noch die neuesten Erkenntnisse, wenn der bösartige Tumor im letzten Jahr entfernt wurde? Nichts, denn selbst wenn der neueste Diagnosetest seine Zuverlässigkeit gegenüber den herkömmlichen PSA-Tests unter Beweis stellen sollte, wäre das Ergebnis das gleiche geblieben. Die Prostata muss in jedem Fall raus.

Sicher hätte ich kurz nach der Diagnose Prostatakrebs ruhiger leben können, wenn mir meine Urologen hätten sagen können, ob der bei mir festgestellte Tumor so bösartig ist, dass er behandelt werden muss – oder eben nicht. Andererseits habe ich sofort nach der Diagnose meines Urologen alle Hebel in Bewegung gesetzt. D.h., dass ich akribisch im Netz recherchiert, mir danach Zweitmeinungen an führenden Kliniken eingeholt und zu guter Letzt Rat über den Bundesverband Selbsthilfe Prostata gesucht habe. Letztlich explodierten meine Werte. Das bange Thema: „Abwarten oder Operieren“ und damit der Horror: „Inkontinenz und Impotenz“ beantwortete sich von selbst. Ich entschied mich fürs Messer und seine Folgen.

Es wäre gelogen, wenn ich jetzt sagen würde, dass mir zu diesem Zeitpunkt die ganze Tragweite meines Entschlusses klar gewesen wäre. Ich wollte den Feind einfach nur los haben. Raus mit dem Ding! Dass ich aber mit der in Kauf genommen Inkontinenz und Impotenz an den Grundfesten meiner Person rütteln werde, musste ich im letzten Jahr erfahren. Erst jetzt, nach dem ich die Inkontinenz zu großen Teilen mit Übungsprogrammen und Muskelaufbautraining in den Griff bekommen habe, lerne ich meine Sexualität wieder neu zu erleben. Was natürlich auch nicht richtig ist, denn sexuelle Gefühle sind immer da. Ob mit oder ohne Prostata. Was hingegen immer existiert ist mein Kopf, die Quelle meines sexuellen Verlangens. Dieses Verlangen gehört zu mir wie der Hunger und Durst. Nur was hilft diese Erkenntnis, wenn ich nicht daran glauben kann? Wenn ich keinen mehr wie gewohnt „hochkriege“?

Erkannt habe ich den vergangenen Monaten meiner intensiven Suche, dass das Vertrauen in meine Frau der Schlüssel zum verlorengegangen Glauben an meine sexuelle Kraft und Hingabe ist. Wenn sie mir sagt, dass ich in unserer Beziehung weiterhin meinen Mann stehe, dann darf ich daran nicht zweifeln. Dann muss ich diese Aussage als ein ganz besonderes Geschenk annehmen. Denn es zeigt mir, dass sie mich in unserem Sexualleben nicht als Ständerträger erlebt, sondern in erster Linie als Lustbringer. Natürlich setzt dies unbedingtes, gegenseitiges Vertrauen voraus, das wiederum gründet auf beiderseitigem Respekt und ständiger Dialogbereitschaft. Dabei will und kann ich nicht verschweigen, dass Routine der Feind aller Lust und Freuden ist. Ich schäme mich auch nicht zu sagen, dass ich viele lustvolle Momente in unserer gemeinsamen über 25 Jahre dauernden Partnerschaft schlichtweg ausgeblendet habe. Oder habe ich sie verdrängt? Aber gerade diese Erinnerungen helfen mir tiefer in unsere Beziehung einzutauchen und die scheinbar untergegangenen Momente sexuellen Glücks zu bergen, von allen Seiten zu beleuchten und Kraft daraus zu schöpfen.

Warum ich diese Zeilen schreibe? Zum einen will ich mich natürlich bei meiner wundervollen Frau bedanken. Zum anderen habe ich während der Kur feststellen müssen, wie wenig wir betroffenen Männer bereit sind, über uns und unsere Krisen offen zu sprechen. Tun wir es dann doch einmal, dann reden wir über Hilfsmittel, mit denen wir wieder bei unseren Partnerinnen den strammen Max spielen wollen. Doch vergessen wir dabei, dass die Impotenz eine Einschränkung ist, die ein Weiter auf vertrautem Niveau nicht zulässt. Mit anderen Worten: Es kann niemals mehr so werden, wie es vor der Entfernung der Prostata lieb und teuer war.

Ich schreibe dies nicht aus dem hohlen Bauch heraus. Vielmehr habe ich schon einmal eine ähnlich einschneidende Situation mit meiner Frau durchlebt. Damals verunglückte ich schwer mit unserem Auto auf der Autobahn. Ich zog mir bei diesem Unfall schwere Brandverletzungen am ganzen Körper zu und verlor dabei meine Finger bis auf die Grundgelenke an beiden Händen. Schon damals mussten wir lernen, dass alles hätte, wenn und aber … Rhabarber ist. Oder wie Peer Steinbrück feststellt: Hätte, hätte … Fahrradkette.

schlafmuetze - 14. Okt, 21:43

Hallo HerrPlattezumStein

Wo hast du denn das Video ausgegraben? *lach*

Was schreibe ich zu so einem Beitrag?
Er hat mich sehr berührt.
Die Liebe, die dich mit deiner Frau verbindet, ist ein tragfähiges Fundament eurer Ehe.
Es gibt nicht so viele Dinge im Leben, die wirklich wichtig sind. Aber mit einem Partner an der Seite, der mit einem durch alle Höhen und Tiefen des Lebens geht, hat man das große Los gezogen.
Herzenswärme, Liebe und Vertrauen sprechen aus deinem Bericht. Ich bin beeindruckt und wünsche euch alles Liebe dieser Welt und eine weiterhin erfolgreiche Genesung.
Grüßli :-)

herrplattezumstein - 21. Okt, 12:28

Hätte, wenn und aber - alles Rhabarber

Hallo Schlafmütze,
jetzt bin ich sehr gerührt. Vielen herzlichen Dank!
PS. Der Steinbrück-Song stammt aus dem ARD Morgenmagazin.

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Hallo HerrPlattezumStein
Wo hast du denn das Video ausgegraben? *lach* Was...
schlafmuetze - 14. Okt, 21:43

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