Behindert zu sein, ist nicht einfach!

Neulich am späten Nachmittag auf dem Behindertenparkplatz eines großen Möbelhauses. Mitten beim Beladen unseres Transporters kommt ein Mann, Mitte Fünfzig, auf einen Gehstock gestützt zu unserem Fahrzeug heran gelaufen und schaut dem munteren Treiben zu. Schließlich beginnt er herumzumosern, dass wir hier nicht parken dürfen. Schließlich sei keiner von uns beiden behindert. Originalton: „Das sieht doch jeder!“

Wo der Herr mit Krückstock seine Augen habe, will ich von ihm wissen. Denn zum einen sind meine Ellenbogen teilversteift, das heißt, dass ich diese nur eingeschränkt heben und senken kann und zum anderen fehlen mir sämtliche Finger an beiden Händen. Normalerweise falle ich mit dieser Art der Behinderung beim Einkaufen im Supermarkt wie ein Roßbollen auf. Besonders dann, wenn ich auf Zehenspitzen stehend mit meinen rechtwinklig von mir gestreckten Ellenbogen hoch oben ein Glas Gurken oder ganz unten kniend eine Tüte Milch aus dem Regal nehmen will. Aber nun gut, denke ich mir, manche Menschen sehen schlecht.

Als ich den Mann frage, der sich in der Zwischenzeit hinter das Lenkrad seines Autos klemmte, das neben unserem Transporter stand, ob er denn nicht meinen Parkausweis hinter der Scheibe bemerkt habe, schüttelt er unwillig seinen Kopf. „Nein, warum auch!“ erwidert er, „Ich sehe doch, dass ihr beide nicht behindert seit!“

Und da fahren meine beiden bisher noch in der Jackentasche steckenden Fäuste aus dem wärmenden Innenfutter. Plötzlich erkennt der Mann, dass er mit seiner Vermutung doch etwas daneben liegen könnte. Aber statt sich bei meinem Begleiter und mir für seinen Auftritt zu entschuldigen, weist er mich sofort auf den Grad meiner Behinderung hin. So jemand, wie ich, könne keine 100% Schwerbehinderung haben, also könne ich nur eine Ausnahmegenehmigung besitzen. Diese besitzt, wie der Parkausweis für Rollstuhlfahrer, das gleiche Format, hat aber einen anderen Farbaufdruck. Statt blau ist diese gelb oder orange - je nach Bundesland verschieden.

Grimmig lächelnd und vor Zorn nach Luft schnappend, weise ich den Kollegen daraufhin, dass Menschen mit Contergan-Behinderungen und Ohnhänder, wie ich, seit einem Jahr auch Anspruch auf die Parkausweise für Rollstuhlfahrer haben. „Das habe ich nicht gewusst,“ brummelt der gehbehinderte Mann hinter seinem halbgeöffneten Seitenfenster hervor. Sprach es und setzte seinen Wagen in Gang.

Wie kann ein Mensch, der, wie ich, einen Stall voller körperlicher Einschränkungen hat, so ein Verhalten an den Tag legen? Wie frustriert muß dieser Mensch eigentlich sein? Statt sich seiner Einkäufe zu freuen, bellt er den nächsten besten Menschen an, der in seinem vermeintlichen „Behinderten“-Revier nichts zu suchen hat. Und dann dieser Ton. Wie ein frustrierter Oberlehrer, der nach einem quälenden Vormittag in der Schule nach Hause kommt, die Aktentasche auf den Tisch knallt und dann sein Mütchen an seiner besseren Hälfte und seinen Kindern kühlt.

Kaum haben wir den Rest unserer Kartons in das Fahrzeuginnere verfrachtet, fragt mich mein Begleiter, ob ich den Mann mit Krückstock nicht schon an der SB-Kasse bemerkt habe. Stimmt, da haben wir einem Mann, der es eilig hatte, Platz gemacht. Aber vor lauter Streß mit dem Scanner, den ich nicht selbst über die Pakete ziehen konnte, und dem Prozedere mit dem Bezahlen mit der Scheckkarte, weil ich diese auch nicht in das Terminal einstecken kann, habe ich von diesem Menschen keine weitere Notiz genommen. Warum auch? Er ging lediglich am Stock und bat auch nicht um Hilfe. Ich war froh, dass mir mein Freund zur Seite stand und wir beide das etwas andere Möbelhaus zügig verlassen konnten.

Behindert zu sein, ist nicht einfach. Aber so behindert, wie der Mann mit Krückstock, mit seinen Mitmenschen umgeht, ist ein Kreuz!

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