Das Leben der Taliban im ZDF

Am Mittwoch, den 21. Juli 2010, sendete das ZDF in seinem Auslandsjournal einen Beitrag, der einzigartige Einblicke in das alltägliche Leben der Taliban im Kampf gegen amerikanische Soldaten zeigen sollte.

Grundlage des Beitrages war – so eine Recherche nach der Ausstrahlung - ein 26 minütiger Dokumentarfilm des norwegischen Kameramanns Paul Refsdal, der am 15. Juli diesen Jahres veröffentlicht wurde. Refsdal begleitete im Oktober 2009 eine Gruppe Taliban Kämpfer im Osten Afghanistans. Dass er dabei den Afghanistankrieg nicht - wie gewohnt - aus Sicht der Nato Soldaten zeigte, sondern aus der der Kämpfer, die sich den Taliban angeschlossen haben, zeugt für seinen Anliegen Licht in das dunkle Kaptitel Afghanistan zu bringen. Noch dazu, dass er diese Bilder nur bekommen konnte, indem er ein sehr hohes Risiko für sein eigenes Leben einging. Was machten die Redakteure des Auslandsjournals aus dem Filmmaterial?

Sie machten daraus einen 6:30 Minuten Beitrag, der in seinem Kern bärtige, braunäugige afghanische Männer mit alten Kalaschnikofs um die Schultern in ihrem Versteck zeigte. Darunter waren auch ein paar Halbwüchsige. Hier brüteten sie einen Anschlag aus dem Hinterhalt auf einen amerikanischen Konvoi aus, brachen zu besagter Stelle auf und führten den Anschlag gemeinsam mit einer benachbarten Gruppe erfolglos durch.

Der Zuschauer wurde dabei Zeuge, wie während dieser Aktion die anfängliche Anspannung unter den vermeintlichen Taliban Kämpfern in eine ausgelassene, ja heitere Stimmung umschlug. Doch am Abend nach dem Anschlag, zwischenzeitlich wieder im Versteck, dröhnte heftiger Gefechtslärm aus den Bergen. Plötzlich brach Hektik unter den Widerstandskämpfern aus. Die Amerikaner kommen! Sofort schwärmten sie in der Dunkelheit aus und versuchten sich in Sicherheit zu bringen. Bilanz des nächtlichen Angriffs der amerikanischen Spezialeinheit: mehrere Tote unter der Taliban Gruppe, darunter der Stellvertreter des Kommandeurs.

Der Beitrag schloß mit den Bildern von zwei der Kinder des Anführers, die zusammen mit ihrer Mutter im Versteck lebten. Unterlegt war diese Sequenz mit dem Hinweis, dass diese Kinder ein paar Wochen später bei einem Bombenangriff der amerikanischen Luftwaffe auf das Versteck getötet wurden. Schlusssatz: „Sie (die Kinder) wurden Opfer eines Krieges, in den sie ihr Vater hineinzog!“

Wie bitte? Mussten diese beiden Kinder sterben, weil ihr Vater sie in seinem Kampf gegen die amerikanischen Soldaten benützte? Nein, sie waren zu keinem Zeitpunkt an irgendwelchen Kampfhandlungen beteiligt. Diese Kinder lebten mit ihrer Mutter und einem weiteren Bruder bei ihrem Vater, dem Anführer dieser Taliban Gruppe irgendwo in einem Versteck im Osten Afghanistans. Bleibt die eigentlich ungestellte Frage die hinter diesem zynischen Satz steckt: Warum muss dieser Anführer der Talibangruppe die Amerikaner überhaupt herausfordern? Niemand hat ihn gezwungen. Daher – so die unausgesprochene Logik dieses Schlusssatzes – trägt er die alleinige Verantwortung für den Tod seiner Kinder!

Interessant ist, dass am gleichen Abend ein ganz ähnlicher Beitrag aus dem Rohmaterial von Paul Refsdal im Schweizer Fernsehen über die Bildschirme flimmerte. Er erschien in der Nachrichtensendung 10 nach 10 und war rund 5 : 13 Minuten lang. Auch er zeigte im Wesentlichen das Lagerleben der Kämpfer, aber er verzichtete auf die im ZDF gezeigte Schlussszene.

Da bleibt natürlich die Frage, ob die Journalisten aus der Schweiz weiter dachten. Denn ein paar Tage später, am Sonntag, den 25. Juli 2010, hat die Weltöffentlichkeit eindeutige rund 90.000 Dokumente von wikileaks erhalten. Diese belegen was Insider und kritische denkende Journalisten schon länger vermuteten, nämlich, dass amerikanische Spezialeinheiten seit 2004 so oder ähnlich ihren schmutzigen Krieg gegen alles, was nach Taliban aussieht oder riecht, führen, wie in diesem einsamen Tal irgendwo in Ostafghanistans im Oktober 2009 geschehen.

Trotz dieses schmutzigen Krieges gegen die Taliban - damit auch gegen Teile der afghanischen Bevölkerung - kann die Nato diesen Krieg offensichtlich nicht gewinnen. Durch solche Aktionen heizt sie den Widerstand in diesem Land erst Recht an. Die Journalisten des ZDF Auslandsjournal müssen sich fragen lassen, was hinter ihrem Zynismus steckt? Die Angst vor der politischen Klasse? Oder ihr gar widersprechen zu müssen?

Oder haben die Journalisten im Auslandsjournal den eigentlichen Auftrag ihres Mediums, neben der Unterhaltung soll das öffentlich-rechtliche Fernsehen seine Zuschauer auch bilden, schlicht in Infotainment umgebogen. Wobei dies erklären würde, warum unbequeme Fragen nach den Hintergründen dieses Krieges und vor allem seine Bedeutung für die kriegsführenden Parteien – Taliban, Regierung Afghanistans und Nato unterbleiben. Da ist es doch einfacher die plumpe, einfach gestrickte öffentliche Meinung und ihre Angst vor dem Bärte tragenden Muselmanen zu bedienen. Nein, sie mit ihrem Zynismus noch weiter anzuheizen.

Suche

 

User Status

Du bist nicht angemeldet.

Aktuelle Beiträge

Der Selbstmord der Presse
„Die wirtschaftlichen Auswirkungen werden wir vor Ort...
herrplattezumstein - 3. Jul, 19:42
Erwartungen
In diesem Jahr schenkte mir unser jüngster Sohn die...
herrplattezumstein - 2. Dez, 20:49
Hätte, wenn und aber...
Hallo Schlafmütze, jetzt bin ich sehr gerührt. Vielen...
herrplattezumstein - 21. Okt, 12:28
Eine unscheibare Dose...
Hallo Schlafmütze, auch wenn die Welt manchmal zum...
herrplattezumstein - 21. Okt, 12:18
Hallo HerrPlattezumStein
Wo hast du denn das Video ausgegraben? *lach* Was...
schlafmuetze - 14. Okt, 21:43

Links

Status

Online seit 5702 Tagen
Zuletzt aktualisiert: 3. Jul, 19:44

Credits


Abseits
Auswärts
Ballaballa
Einwurf
Männerwelten
Tagwerk
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren