Der Ton macht die Musik

Letzte Woche erhielt unser Sohn Post von der Stadtverwaltung. Kaum hatte er den Umschlag geöffnet und den Inhalt überflogen, reichte er wortlos das Schriftstück an uns weiter. Es war seine Wehrerfassung.

Wie bitte? Mitte Dezember letzten Jahres beschließt der Bundestag die Wehrpflicht auszusetzen. Und wo keine Wehrpflicht ist, gibt es auch keine Musterung und damit auch keine Wehrerfassung. Doch diese Schlussfolgerung entpuppt sich damit als ein typischer Fall von „Denkste Puppe!“

In diesem zweiseitigen Brief wird unser Sohn in einem harschen Ton darüber informiert, dass jeder - in dicken, fett unterstrichenen Lettern - deutsche Mann ab 17 Jahren und mit ständigem Aufenthalt in der Bundesrepublik weiterhin der Wehrerfassung unterliege. Binnen zehn Tage habe er der Meldebehörde die über ihn gespeicherten Angaben zu bestätigen. Das zuständige Kreiswehrersatzamt werde sich dann zu gegebener Zeit bei ihm melden. Denn – so der Schluss des Schreibens - das bestehende Wehrpflichtgesetz bleibe bis zum Inkrafttreten der neuen Regelung – also bis zum 1. Juli 2011 - weiterhin in Kraft.

Was bewirkt ein solches Schreiben bei einem jungen Menschen? Na klar, er wird unruhig und zieht in Anbetracht des harschen Grundtones unwillkürlich den Kopf ein. Ganz so, wie wenn auf Gleis 1 der ICE „Bundeswehr“ von A nach B einfährt. „Achtung! Achtung! Zurücktreten an der Bahnsteigkante!“ Aber Bange machen gilt nicht. Er setzt sich an den Computer sowie an das Telefon und erfährt, dass sich die jungen 17 Jahre alten Männer tatsächlich bis zum 1. Juli dieses Jahres in einer Art rechtsfreien Raum bewegen.

Denn, wenn die insgesamt 52 Kreiswehrersatzämter keine Meldungen mehr von den Einwohnermeldeämtern bekommen, können sie ihre Kernaufgabe, nämlich der Bundeswehr Wehrersatz für die ausscheidenden Soldaten zu überstellen, nicht erfüllen. Doch was soll diese Befürchtung? Zur Erinnerung: Anfang Januar wurden die letzten wehrpflichtigen Rekruten eingezogen. Somit sitzen die Beamten und Angestellten in diesen Ämtern schon heute vor leeren Schreibtischen. Nach Schätzungen des Verbandes der Beamten in der Bundeswehr sind dies immerhin rund 3.800 Menschen, die voller Sorgen in ihre berufliche Zukunft schauen.

Doch wichtiger als die Sorge der Beschäftigten in den Kreiswehrersatzämtern ist doch die Frage, welcher Eindruck ein solches Schreiben bei den jungen Männern hinterlässt? Da wird die Wehrpflicht abgeschafft und demnächst eine Berufsarmee auf die Beine gestellt. Zudem wird – so das Familienministerium - ein Freiwilliger Sozialer Dienst geschaffen, der den Zivildienst ersetzen soll. Der Staat muss sich also um geeignete Bewerber bemühen. Doch was erfahren die jungen Männer? „Achtung! Achtung!“ der Staat ruft.

Dass der Staat auf bestehende Fristen und die damit verbundenen Konsequenzen hinweist, ist legitim. Nur sollte er dies seinen jungen Bürgern in einem normalen Ton mitteilen. Und vor allem sollte der Brief das Wesentliche, die Information, dass die Wehrpflicht zum 1. Juli 2011 ausgesetzt wird, auch am Anfang dieser Mitteilung ausführen. Stattdessen eröffnet die Meldebehörde dem Empfänger, dass dieser umgehend seiner staatsbürgerlichen Pflicht nachzukommen hat. Erst am Schluss des langen Schreibens wird Dampf aus dem Kessel genommen. Da heißt es, dass Musterungen und Einberufungen ab dem 1. Juli nur noch auf freiwilliger Basis durchgeführt werden.

Ein solches Schreiben ist für viele junge Bürger der erste Kontakt mit Vater Staat. Dabei spielt für mich auch keine Rolle, dass ein solch verunglückter Brief „nur“ von einer Meldestelle, also von einer Subbehörde, verfasst wurde. Denn, wenn dem Staat das Wohl dieser jungen Menschen am Herzen liegen würde, dann hätte er die richtigen Abteilungen daran gesetzt.

Zumindest unser Sohn schüttelt den Kopf. Unterm Strich zählt für ihn ohnehin nur die Tatsache, dass die Wehrpflicht de facto aufgehoben wird. Denn schon als 10 Jahre junger Mensch stand für ihn fest, dass er niemals Dienst in einer Armee schieben werde. Denn, so sagte unser Sohn - damals als die USA und ihre Verbündete den Irak besetzten und Saddam Hussein stürzten - wer eine Waffe in die Hand gedrückt bekommt, von dem wird auch erwartet, dass er sie einsetzt. Und das kommt für ihn – unter keinen Umständen - in Frage! Mittlerweile macht er seine Mittlere Reife, will einen sozialen Beruf ergreifen und danach ein Projekt eines Freiwilligen Dienstes für ein Jahr im Ausland unterstützen.

Doch halt, so einfach geht das auch nicht! Solange die Wehrerfassung weiter bestehen bleibt, muss jeder deutsche Mann zwischen 17 und 45 Jahren (der hier seinen ständigen Aufenthalt hat und seine Wehrpflicht noch nicht erfüllt hat) dem Kreiswehrersatzamt jeden Auslandsaufenthalt über 3 Monate mitteilen.

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