Die bürgerliche Politik und ihr grünes Band
Stuttgart 21 und Startbahn West
Die Polizei, dein Freund und Helfer. Das ist eine Seite der Medaille. Die andere, hässliche, ist die des staatlichen Erfüllungsgehilfen, der am Ende mit seinem Latein ist. Zugegeben dies klingt polemisch, aber die Bilder der hemmungslos auf wehrlose Demonstranten, unter ihnen zumeist Schüler und Rentner, einprügelnden Polizisten widerlegen genau diese Polemik. Sie zeigen die Realität.
Und sie erinnern an längst vergangene Zeit. An die Auseinandersetzungen in den 70 er Jahren des vergangenen Jahrhunderts um die Kernkraftwerke, an Gorleben im Wendtland und zu Beginn der 80 er Jahre an die Startbahn West im südlichen Hessen.
Gerade die Startbahn West und der damit verbundene Zornausbruch des damaligen SPD Ministerpräsidenten, Holger Börner, drückt die Fassungslosigkeit der Politik über den bürgerlichen Ungehorsam deutlich aus. Der ehemalige SPD Bundesgeschäftsführer unter Willy Brandt ließ sich vor laufendem Mikrophon zu dem Satz hinreißen: „Ich bedauere, dass es mir mein hohes Staatsamt verbietet, den Kerlen selbst eins auf die Fresse zu hauen. Früher auf dem Bau hat man solche Dinge mit der Dachlatte erledigt.“
So wundert es nicht, dass in Stuttgart sofort die Politik und mit ihr die Polizei das Bild gewalttätiger Chaoten an die Wand malte. Die Politik war es, die der Polizei keine andere Wahl ließ, als den Platz unter Aufbietung aller zur Verfügung stehenden Kräfte zu räumen. Selbst als die Polizei wenige Stunden nach der Räumung zugeben mußte, dass keine Autonomen am Werk waren, dass lediglich Plastikflaschen und Kastanien statt Pflastersteine und Molis geflogen sind, wurde und wird bis heute von der regierenden CDU/FDP Landesregierung gebetsmühlenartig das Bild der gefährdeten öffentlichen Ordnung bemüht.
Wie blind und taub dabei diese Politiker sind, habe ich in den 80 Jahren am eigenen Körper erlebt. So verbrachte ich in der Zeit vom Herbst 1982 bis Sommer 1983 so manchen Sonntag im Flörsheimer Forst. Der Widerstand wurde in erster Linie von Anwohner der umliegenden Städte und Gemeinden getragen. Das waren keine Chaoten. Das waren Stinos, wie du und ich. Ganz stink normale Bürger, die morgens nach Rüsselsheim, Darmstadt und in Frankfurt zur Arbeit gingen. Auch viele Rentner, Opas und Omas, gesellten sich im Wald dazu. Selbst Pfarrer, Lehrer, Ärzte, Apotheker und Architekten, die Stützen der bürgerlichen Gesellschaft, verzichteten auf ihren Sonntagsspaziergang durch die Siedlung. Stattdessen zogen sie mit Kind und Kegel in den Kiefernwald. Alle wurden getrieben von der Furcht, dass die geplante Startbahn ihre Zukunft massiv gefährden wird.
Hier, wie jetzt in Stuttgart, dauerte das Projekt von der Planung bis zum Baubeginn fast 20 Jahre. Hier, wie auch in Stuttgart, winkte das Parlament geschlossen den Ausbau des Frankfurter Flughafens durch. Als die Bürger um Mörfelden-Waldorf mit dem Anrücken der schweren Rodungsmaschinen endlich begriffen, dass jetzt wirklich „ihr“ Wald fallen wird, da wurde ihnen klar, dass es jetzt ans Eingemachte geht.
Hier, wie jetzt auch in Stuttgart, reklamierte die hessische Politik sofort, dass das Recht auf ihrer Seite ist. Denn schließlich war der Bau der Startbahn von Beginn der Planungen bis zum endgültigen Baubeginn demokratisch legitimiert. Wo komme man, der Staat schließlich hin, wenn er sich nach dem Willen der Straße richten würde. Selbst ein Politiker, wie Willy Brandt, stimmte lautstark in diesen Ruf nach Staatsräson ein. Brandt war es schließlich, der Anfang November 1981 die SPD Parlamentarier in Wiesbaden auf eine einheitliche Linie gegen einen Baustopp brachte. Just zu dem Zeitpunkt, als in Hessen Unterschriften für ein Volksbegehren gegen den Bau der Startbahn West gesammelt wurden.
Interessant ist hier die Entscheidung des Hessischen Staatsgerichthofes, der im Januar 1982 darüber zu entscheiden hatte, ob ein Volksbegehren gegen den Startbahnausbau zu lässig sei. Die Richter kamen zu der Entscheidung, dass ein Volksbegehren unzulässig ist. Denn – so das Gericht - der Bau der Startbahn gehe auf Bundesrecht zurück, das Vorrang vor hessischem Landesrecht habe.
In Stuttgart ist eine ähnliche Ausgangslage. Denn Infrastrukturmaßnahmen, wie Bahnhöfe und Gleise, müssen generell vom Bund genehmigt werden. Fallen also nicht in den Zuständigkeitsbereich des Landes. Ganz unabhängig davon muß die Frage erlaubt sein, was ein solches Megaprojekt den Menschen in der Region bringt. Ein neuer Stadtteil, eine direkte Verbindung zum Flughafen und die Anbindung an die Strecke Paris – Bratislava, die dazu von übergeordnetem, weil europäischem Interesse sei. Soweit, so gut. Doch, was bringt ein neuer Bahnhof an einer Strecke, die sehr wenig frequentiert wird? Richtig, er bringt nur denjenigen etwas, die darin sitzen. Nur 10 % aller Bahnkunden sind im Fernverkehr unterwegs.
Aber was bringt ein neuer Bahnhof dem Gros der Bahnnutzer, den Menschen in der Region, die Tag täglich die Bahn auf dem Weg zur Arbeit oder zu Schule nutzen möchten? Ob sie in dem alten Kopfbahnhof oder tief in der Erde im neuen Bahnhof ankommen ist ihnen – auf gut schwäbisch – scheißegal. Sie wollen ihr Ziel erreichen. Doch was macht die Bahn seit Jahren? Sie legt in der Bundesrepublik seit 1995 mit dem Hinweis auf unrentable Strecke über 40 % aller Gleise still, baut rund 20 % aller Weichen ab und schließt tausende von Bahnhöfen. Also bitte, warum in aller Welt muß ein neuer Bahnhof in Stuttgart mit aller Gewalt her? Warum nicht das Geld in die Strecke – in die Region – investieren?
Ganz nebenbei sei an die wirtschaftliche Bedeutung des Großraumes Stuttgart erinnert. Hier werden riesige Güterströme produziert, die nur darauf warten in alle Welt täglich an- und abtransportiert zu werden. Ach so, die sollen – wie bisher – über die hoffnungslos verstopften Autobahnen rollen. Was für ein Wahnsinn! Über die künftigen Hochgeschwindigkeitsgleise können bisher jedenfalls keine Güterzüge im notwendigen Takt rund um die Uhr verkehren. Sie behindern die Hochgeschwindigkeitszüge auf ihrer Blitzreise durchs Ländle.
Dass eine Bahn für alle, sowohl für die Bürger in der Region, für Fernreisende und für die Wirtschaft rentabel zu gestalten ist, beweist seit Jahr und Tag die Schweizer Staatsbahn – die SBB - eindrucksvoll. Trotz oder gerade wegen der zum Teil widrigen geographischen Lage unserer Nachbarn. Denn hier muß das Volk nicht nur in die fälligen Planungen miteinbezogen werden, sondern es muß über die sich daraus ergebenden Entscheidungen abstimmen.
Dies kann das Volk allerdings nur, wenn die Politik richtige Konzepte auf den Tisch legt. Gerade Stuttgart 21 ist ein Beispiel dafür, dass ein Gesamtkonzept zur Lösung verkehrspolitischer Probleme fehlt. Und ganz nebenbei bemerkt soll die Bahn nun auch noch nach Willen der Berliner CDU/FDP künftig entscheidend zur Lösung energiepolitischer Probleme beitragen. Denn, oh Wunder, es fehlen Starkstromleitungen über der Erde, die die zu erwarteten Mengen regenerativ erzeugten Stromes transportieren können.
Nach Angaben der Deutschen Energieagentur - kurz DENA – sind von rund 1.000 Kilometern benötigten neuen Starkstromleitungen, die bis 2015 gebraucht würden, erst 90 Kilometer gebaut. Kein Wunder, dass Bundeskanzlerin Merkel einen schnellen Ausbau dieser Leitungen fordert. Nur, dieser Ausbau kostet Geld. Nach Schätzungen des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft rund 40 Milliarden Euro. Und dabei läuft die Uhr, denn diese Investitionen müssen bis 2020 erbracht werden. Da kommt die Bahn doch gerade zum rechten Zeitpunkt auf rumpelnden Gleisen um die Ecke gerollt. Denn entlang ihres Stromnetzes über der Schiene ließe sich die Windenergie von der Nordsee problemlos in den Süden leiten. Allerdings müssten für diesen Fall die Strommasten der Bahn um 15 Meter erhöht werden. Und da sind heftige Probleme zu erwarten. So hat das federführende Wirtschaftsministerium seit 2007 auch schon den entsprechenden Lösungsansatz in der Schublade – eine Änderung des Planfeststellungsverfahrens.
Bei all dieser Komplexität, will die Politik offensichtlich dann doch nicht den Bürger überlasten. Stattdessen soll er lieber der Politik vertrauen und bei der kommenden Landtagswahl in Baden-Württemberg über die Zukunft Deutschlands abstimmen. Was für ein Hohn!
Wie kann ein Bürger, der von der Politik so offensichtlich für unmündig erklärt wird, Vertrauen in diese habe? Kann er nicht von der Politik erwarten, dass diese ihm die Karten offen, in vollem Ausmaß, auf den Tisch legt? Stattdessen bekommt er sie lieber in kleinen unvorbereiteten Häppchen serviert. Hier ein Bahnhofsprojekt, wie Stuttgart 21, dort das neue Stromkonzept mit verlängerten Laufzeiten der Kernkraftwerke. So ganz neben erfährt der Bürger, dass die Krankenkassenbeiträge – zu seinem Wohl – künftig weiter steigern können und er sich noch stärker für seine private Altersvorsorge engagieren sollte. Die Liste der portionierten Grausamkeiten ist damit aber noch lange nicht am Ende. So sind u.a. Änderungen bei Hartz IV in Arbeit. Eines ist aber so sicher, wie das Amen in der Kirche. Das dicke Ende kommt immer am Schluss.
Und so, wie in Berlin und in den Ländern die große Politik gemacht wird, so wird sie auch im Kleinen, in den Kommunen, gemacht. Auch hier wiederholt sich das gleiche Spiel. Wo bleiben die Visionen für eine lebenswerte, positiv denkende Gesellschaft? Gerade in den Kommunen wird seit Jahr und Tag gebetsmühlenartig die gleiche Leier heruntergeorgelt. „Wir haben kein Geld!“ Das ist objektiv richtig. Aber das kann doch nur bedeuten, dass wir unser bisschen Hirn auf der Suche nach Auswegen aus dem Schlamassel noch mehr als gewöhnlich anstrengen müssen. Aber, dies geht nur mit den Bürgern.
Dabei sollte die Politik über alle Parteien hinweg nicht vergessen, dass die Bürger es sind, die ihnen ihr Vertrauen nur befristet überlassen haben. Dabei sollten sich die Politiker an das Aufkommen der Demokratie erinnern. So an das 16. Jahrhundert, als die Republik der Niederlande ihren Befreiungskampf gegen das Königreich Spanien mit Staatsanleihen finanzierte. Damit verschuldete sich die Republik nicht nur bei den eigenen Bürgern, sondern der Staat war auch zwingend auf deren Vertrauen angewiesen. Die Bürger ihrerseits konnten verlässlich Zinsen auf das eingesetzte Kapital verdienen.
Da heute unser Staatswesen, nicht nur von Staatsanleihen, sondern vor allem durch direkte und indirekte Steuern, die alle Bürger zu zahlen haben, existieren kann, wird klar, dass ein Staat nicht nur das Vertrauen von begüterten Bürgern gewinnen und mehren muß, sondern auch dass der anderen, der weniger Einkommensstarken. Gelingt dies nicht, dann könnten sie – ganz im Sinne des mittlerweile verstorbenen Holger Börner – dessen Ausspruch schnell umkehren. Nämlich die Dachlatten nehmen und damit auf die Politiker losgehen.
Die Polizei, dein Freund und Helfer. Das ist eine Seite der Medaille. Die andere, hässliche, ist die des staatlichen Erfüllungsgehilfen, der am Ende mit seinem Latein ist. Zugegeben dies klingt polemisch, aber die Bilder der hemmungslos auf wehrlose Demonstranten, unter ihnen zumeist Schüler und Rentner, einprügelnden Polizisten widerlegen genau diese Polemik. Sie zeigen die Realität.
Und sie erinnern an längst vergangene Zeit. An die Auseinandersetzungen in den 70 er Jahren des vergangenen Jahrhunderts um die Kernkraftwerke, an Gorleben im Wendtland und zu Beginn der 80 er Jahre an die Startbahn West im südlichen Hessen.
Gerade die Startbahn West und der damit verbundene Zornausbruch des damaligen SPD Ministerpräsidenten, Holger Börner, drückt die Fassungslosigkeit der Politik über den bürgerlichen Ungehorsam deutlich aus. Der ehemalige SPD Bundesgeschäftsführer unter Willy Brandt ließ sich vor laufendem Mikrophon zu dem Satz hinreißen: „Ich bedauere, dass es mir mein hohes Staatsamt verbietet, den Kerlen selbst eins auf die Fresse zu hauen. Früher auf dem Bau hat man solche Dinge mit der Dachlatte erledigt.“
So wundert es nicht, dass in Stuttgart sofort die Politik und mit ihr die Polizei das Bild gewalttätiger Chaoten an die Wand malte. Die Politik war es, die der Polizei keine andere Wahl ließ, als den Platz unter Aufbietung aller zur Verfügung stehenden Kräfte zu räumen. Selbst als die Polizei wenige Stunden nach der Räumung zugeben mußte, dass keine Autonomen am Werk waren, dass lediglich Plastikflaschen und Kastanien statt Pflastersteine und Molis geflogen sind, wurde und wird bis heute von der regierenden CDU/FDP Landesregierung gebetsmühlenartig das Bild der gefährdeten öffentlichen Ordnung bemüht.
Wie blind und taub dabei diese Politiker sind, habe ich in den 80 Jahren am eigenen Körper erlebt. So verbrachte ich in der Zeit vom Herbst 1982 bis Sommer 1983 so manchen Sonntag im Flörsheimer Forst. Der Widerstand wurde in erster Linie von Anwohner der umliegenden Städte und Gemeinden getragen. Das waren keine Chaoten. Das waren Stinos, wie du und ich. Ganz stink normale Bürger, die morgens nach Rüsselsheim, Darmstadt und in Frankfurt zur Arbeit gingen. Auch viele Rentner, Opas und Omas, gesellten sich im Wald dazu. Selbst Pfarrer, Lehrer, Ärzte, Apotheker und Architekten, die Stützen der bürgerlichen Gesellschaft, verzichteten auf ihren Sonntagsspaziergang durch die Siedlung. Stattdessen zogen sie mit Kind und Kegel in den Kiefernwald. Alle wurden getrieben von der Furcht, dass die geplante Startbahn ihre Zukunft massiv gefährden wird.
Hier, wie jetzt in Stuttgart, dauerte das Projekt von der Planung bis zum Baubeginn fast 20 Jahre. Hier, wie auch in Stuttgart, winkte das Parlament geschlossen den Ausbau des Frankfurter Flughafens durch. Als die Bürger um Mörfelden-Waldorf mit dem Anrücken der schweren Rodungsmaschinen endlich begriffen, dass jetzt wirklich „ihr“ Wald fallen wird, da wurde ihnen klar, dass es jetzt ans Eingemachte geht.
Hier, wie jetzt auch in Stuttgart, reklamierte die hessische Politik sofort, dass das Recht auf ihrer Seite ist. Denn schließlich war der Bau der Startbahn von Beginn der Planungen bis zum endgültigen Baubeginn demokratisch legitimiert. Wo komme man, der Staat schließlich hin, wenn er sich nach dem Willen der Straße richten würde. Selbst ein Politiker, wie Willy Brandt, stimmte lautstark in diesen Ruf nach Staatsräson ein. Brandt war es schließlich, der Anfang November 1981 die SPD Parlamentarier in Wiesbaden auf eine einheitliche Linie gegen einen Baustopp brachte. Just zu dem Zeitpunkt, als in Hessen Unterschriften für ein Volksbegehren gegen den Bau der Startbahn West gesammelt wurden.
Interessant ist hier die Entscheidung des Hessischen Staatsgerichthofes, der im Januar 1982 darüber zu entscheiden hatte, ob ein Volksbegehren gegen den Startbahnausbau zu lässig sei. Die Richter kamen zu der Entscheidung, dass ein Volksbegehren unzulässig ist. Denn – so das Gericht - der Bau der Startbahn gehe auf Bundesrecht zurück, das Vorrang vor hessischem Landesrecht habe.
In Stuttgart ist eine ähnliche Ausgangslage. Denn Infrastrukturmaßnahmen, wie Bahnhöfe und Gleise, müssen generell vom Bund genehmigt werden. Fallen also nicht in den Zuständigkeitsbereich des Landes. Ganz unabhängig davon muß die Frage erlaubt sein, was ein solches Megaprojekt den Menschen in der Region bringt. Ein neuer Stadtteil, eine direkte Verbindung zum Flughafen und die Anbindung an die Strecke Paris – Bratislava, die dazu von übergeordnetem, weil europäischem Interesse sei. Soweit, so gut. Doch, was bringt ein neuer Bahnhof an einer Strecke, die sehr wenig frequentiert wird? Richtig, er bringt nur denjenigen etwas, die darin sitzen. Nur 10 % aller Bahnkunden sind im Fernverkehr unterwegs.
Aber was bringt ein neuer Bahnhof dem Gros der Bahnnutzer, den Menschen in der Region, die Tag täglich die Bahn auf dem Weg zur Arbeit oder zu Schule nutzen möchten? Ob sie in dem alten Kopfbahnhof oder tief in der Erde im neuen Bahnhof ankommen ist ihnen – auf gut schwäbisch – scheißegal. Sie wollen ihr Ziel erreichen. Doch was macht die Bahn seit Jahren? Sie legt in der Bundesrepublik seit 1995 mit dem Hinweis auf unrentable Strecke über 40 % aller Gleise still, baut rund 20 % aller Weichen ab und schließt tausende von Bahnhöfen. Also bitte, warum in aller Welt muß ein neuer Bahnhof in Stuttgart mit aller Gewalt her? Warum nicht das Geld in die Strecke – in die Region – investieren?
Ganz nebenbei sei an die wirtschaftliche Bedeutung des Großraumes Stuttgart erinnert. Hier werden riesige Güterströme produziert, die nur darauf warten in alle Welt täglich an- und abtransportiert zu werden. Ach so, die sollen – wie bisher – über die hoffnungslos verstopften Autobahnen rollen. Was für ein Wahnsinn! Über die künftigen Hochgeschwindigkeitsgleise können bisher jedenfalls keine Güterzüge im notwendigen Takt rund um die Uhr verkehren. Sie behindern die Hochgeschwindigkeitszüge auf ihrer Blitzreise durchs Ländle.
Dass eine Bahn für alle, sowohl für die Bürger in der Region, für Fernreisende und für die Wirtschaft rentabel zu gestalten ist, beweist seit Jahr und Tag die Schweizer Staatsbahn – die SBB - eindrucksvoll. Trotz oder gerade wegen der zum Teil widrigen geographischen Lage unserer Nachbarn. Denn hier muß das Volk nicht nur in die fälligen Planungen miteinbezogen werden, sondern es muß über die sich daraus ergebenden Entscheidungen abstimmen.
Dies kann das Volk allerdings nur, wenn die Politik richtige Konzepte auf den Tisch legt. Gerade Stuttgart 21 ist ein Beispiel dafür, dass ein Gesamtkonzept zur Lösung verkehrspolitischer Probleme fehlt. Und ganz nebenbei bemerkt soll die Bahn nun auch noch nach Willen der Berliner CDU/FDP künftig entscheidend zur Lösung energiepolitischer Probleme beitragen. Denn, oh Wunder, es fehlen Starkstromleitungen über der Erde, die die zu erwarteten Mengen regenerativ erzeugten Stromes transportieren können.
Nach Angaben der Deutschen Energieagentur - kurz DENA – sind von rund 1.000 Kilometern benötigten neuen Starkstromleitungen, die bis 2015 gebraucht würden, erst 90 Kilometer gebaut. Kein Wunder, dass Bundeskanzlerin Merkel einen schnellen Ausbau dieser Leitungen fordert. Nur, dieser Ausbau kostet Geld. Nach Schätzungen des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft rund 40 Milliarden Euro. Und dabei läuft die Uhr, denn diese Investitionen müssen bis 2020 erbracht werden. Da kommt die Bahn doch gerade zum rechten Zeitpunkt auf rumpelnden Gleisen um die Ecke gerollt. Denn entlang ihres Stromnetzes über der Schiene ließe sich die Windenergie von der Nordsee problemlos in den Süden leiten. Allerdings müssten für diesen Fall die Strommasten der Bahn um 15 Meter erhöht werden. Und da sind heftige Probleme zu erwarten. So hat das federführende Wirtschaftsministerium seit 2007 auch schon den entsprechenden Lösungsansatz in der Schublade – eine Änderung des Planfeststellungsverfahrens.
Bei all dieser Komplexität, will die Politik offensichtlich dann doch nicht den Bürger überlasten. Stattdessen soll er lieber der Politik vertrauen und bei der kommenden Landtagswahl in Baden-Württemberg über die Zukunft Deutschlands abstimmen. Was für ein Hohn!
Wie kann ein Bürger, der von der Politik so offensichtlich für unmündig erklärt wird, Vertrauen in diese habe? Kann er nicht von der Politik erwarten, dass diese ihm die Karten offen, in vollem Ausmaß, auf den Tisch legt? Stattdessen bekommt er sie lieber in kleinen unvorbereiteten Häppchen serviert. Hier ein Bahnhofsprojekt, wie Stuttgart 21, dort das neue Stromkonzept mit verlängerten Laufzeiten der Kernkraftwerke. So ganz neben erfährt der Bürger, dass die Krankenkassenbeiträge – zu seinem Wohl – künftig weiter steigern können und er sich noch stärker für seine private Altersvorsorge engagieren sollte. Die Liste der portionierten Grausamkeiten ist damit aber noch lange nicht am Ende. So sind u.a. Änderungen bei Hartz IV in Arbeit. Eines ist aber so sicher, wie das Amen in der Kirche. Das dicke Ende kommt immer am Schluss.
Und so, wie in Berlin und in den Ländern die große Politik gemacht wird, so wird sie auch im Kleinen, in den Kommunen, gemacht. Auch hier wiederholt sich das gleiche Spiel. Wo bleiben die Visionen für eine lebenswerte, positiv denkende Gesellschaft? Gerade in den Kommunen wird seit Jahr und Tag gebetsmühlenartig die gleiche Leier heruntergeorgelt. „Wir haben kein Geld!“ Das ist objektiv richtig. Aber das kann doch nur bedeuten, dass wir unser bisschen Hirn auf der Suche nach Auswegen aus dem Schlamassel noch mehr als gewöhnlich anstrengen müssen. Aber, dies geht nur mit den Bürgern.
Dabei sollte die Politik über alle Parteien hinweg nicht vergessen, dass die Bürger es sind, die ihnen ihr Vertrauen nur befristet überlassen haben. Dabei sollten sich die Politiker an das Aufkommen der Demokratie erinnern. So an das 16. Jahrhundert, als die Republik der Niederlande ihren Befreiungskampf gegen das Königreich Spanien mit Staatsanleihen finanzierte. Damit verschuldete sich die Republik nicht nur bei den eigenen Bürgern, sondern der Staat war auch zwingend auf deren Vertrauen angewiesen. Die Bürger ihrerseits konnten verlässlich Zinsen auf das eingesetzte Kapital verdienen.
Da heute unser Staatswesen, nicht nur von Staatsanleihen, sondern vor allem durch direkte und indirekte Steuern, die alle Bürger zu zahlen haben, existieren kann, wird klar, dass ein Staat nicht nur das Vertrauen von begüterten Bürgern gewinnen und mehren muß, sondern auch dass der anderen, der weniger Einkommensstarken. Gelingt dies nicht, dann könnten sie – ganz im Sinne des mittlerweile verstorbenen Holger Börner – dessen Ausspruch schnell umkehren. Nämlich die Dachlatten nehmen und damit auf die Politiker losgehen.
herrplattezumstein - 15. Okt, 07:33