Die eigene Welt mit den Augen des Anderen sehen

Jahrzehntelang wurde sträflich verharmlost, dass Gewalt von rechten Gruppierungen ausgeht. Erst jetzt, mit der eher zufälligen Aufdeckung der rechten Terrorzelle „Nationalsozialistischer Untergrund“, wird das wahre Ausmaß dieser Bedrohung von rechts deutlich. Und die bürgerlichen Parteien reagieren endlich. Selbst Stadtparlamente werden aktiv.

Im oberhessischen Alsfeld, einer rund 16 Tausend Einwohner zählenden Stadt am Rande des Vogelsberges, rücken die im Stadtparlament vertretenen Parteien zusammen. Einstimmig sprechen sich alle Alsfelder Stadtverordneten in der letzten Ratsversammlung am 14.12.2011 für mehr Toleranz und gegen Rechtsterrorismus aus. Zugleich beschließen sie den Lokalen Aktionsplan des Projekts »Toleranz fördern – Kompetenz stärken« und verabschieden eine Resolution, um den 10 Opfern der rechten Terrorzelle zu gedenken.

Meilenweit von dieser Entschlossenheit in der Auseinandersetzung mit dem rechten Terror sind die Stadtverordneten im rund 30 km entfernten Schlitzer Rathaus entfernt. Hier lehnen Christdemokraten und Liberale, die zusammen über die Mehrheit im Stadtparlament verfügen, in der letzten Stadtverordnetensitzung am 12.12.2011 einen SPD Antrag ab. Dieser hatte die Verurteilung der rechten Gewalt zum Ziel. Stattdessen stellt die Schlitzer FDP einen Änderungsantrag. Darin wird gefordert, dass das Stadtparlament gegen jegliche Form rechter, linker und religiöser, terroristischer Gewalt Stellung beziehen solle. Der FDP Antrag findet seine Mehrheit. Und damit bestätigt die Schlitzer Stadtverordnetenversammlung erneut den Eindruck der Bürger, dass im Schlitzerland schon lange keine Sachpolitik zum Wohl der Stadt gemacht wird. Vielmehr sei das Stadtparlament zu einem Ort verkommen, der nur dazu diene, den politischen Gegner bei jeder sich passenden Gelegenheit vorzuführen.

Das Schlitzer Schauspiel steht stellvertretend für viele Aufführungen, die so oder ähnlich in den letzten Wochen über die Bühnen gegangen sind. Und es offenbart deutlich, dass in unserer Republik noch heute ein zutiefst gespaltenes Gefühl von Recht und Ordnung herrscht. Ganz in dem Sinne, dass ein jeder Bürger zwar die gleichen Rechte besitzt, aber dadurch noch lange nicht in die existierende Ordnung passt.

Kein Schlitzer, oder wer auch immer, wird öffentlich zugeben, dass Mitbürger mit einem Migrationshintergrund für sie Fremde bleiben. Auch wenn sie hier arbeiten, hier ihre Steuern zahlen und hier engagierte Mitglieder in örtlichen Vereinen sind. Schlitz hat sich an sie gewöhnt. Siehe die Pizzerien, Dönerbuden und Änderungsschneidereien im Stadtbild. Doch bedeutet Gewöhnung in diesem Fall nicht Duldung? Und wie schnell wird daraus nackte Ablehnung?

Jetzt, Wochen nach dem Sichtbarwerden des rechten Terrors, ist Mitgefühl angesagt! Ist der so genannte Fremde nicht auch ein Mensch mit den gleichen Sehnsüchten, Hoffnungen, Gedanken, Emotionen und Persönlichkeitsmerkmalen, wie ich sie habe? Und ist damit nicht auch die Zeit des Reflektierens gekommen? Nämlich, wie ich mich als Fremder in solch einer Atmosphäre fühlen würde? Wohin mit meiner Trauer, wohin mit meinem Schmerz?

Was sollen die Hinweise auf linken Terror oder religiös motivierte Anschläge bewirken? Sie sind fadenscheinig der Political Correctness geschuldet. Dabei wird – gezielt oder schlicht aus Unkenntnis – übersehen, dass der Staat schon seit Jahren dem Terror von links und dem religiös motivierten den Kampf angesagt hat. So kann mittlerweile jeder Bundesbürger wissen, dass der Kampf gegen Terror von entsprechenden Abteilungen im Bundeskriminalamt geführt wird. Aber jetzt mit dem Sichtbarwerden eines rechten Terrornetzwerkes rächt sich die in der Republik weit verbreitete Verharmlosung der rechten Gewalt auf offener Straße. Immer ging die Gefahr von linken Gruppen und spätestens seit 2001 von religiösen Extremisten aus. Wenn jetzt, wie im Schlitzer Stadtparlament, Wert auf Korrektheit gelegt wird, zeigt dies lediglich, auf wessen Auge man bisher blind gewesen ist. Auf dem rechten!

Jetzt gilt es zu handeln. Schritte einzuleiten, wie man wieder mehr Sehkraft auf dem erblindeten rechten Auge zurückgewinnen kann. Das im Alsfelder Stadtparlament beschlossene Projekt „Toleranz fördern – Kompetenz stärken“ ist - wie die Transplantation einer Netzhaut – ein solcher Weg.

Es gilt vor der Haustüre das vermeidlich Fremde als das Nahe zu entdecken. Dazu dienen unter anderem die Schulen und alle öffentlichen Einrichtungen. Nehmen wir nur einmal den Religionsunterricht. In Schlitz gibt es den Ethikunterricht an der Gesamtschule parallel zum ökumenischen Religionsunterricht nur in den unteren Klassen 5 bis 7. Daher besuchen etliche muslimische Jugendliche am Vormittag den Religionsunterricht, statt den Ethikunterricht in den Nachmittagsstunden. Kann man es ihnen verdenken? Nein, aber es ist eine verpasste Gelegenheit.

Oder nehmen wir das Angebot in der Mensa dieser Schule. Bisher ist – bis auf Spagetti und Pizza - noch kein landestypisches Gericht aus den Ländern auf den Mittagstisch der Schulkinder gekommen, aus denen ihre Eltern stammen. Warum gibt es keine Themenwochen mit Gerichten unter anderem aus der Türkei, aus Russland, Albanien, Griechenland, Vietnam oder aus dem Libanon? Oder nehmen wir die Städtische Bücherei, die Musikschule oder die Sportvereine? Keine dieser Einrichtung weiß, wie hoch der Anteil der Mitbürger mit Migrationshintergrund unter ihren Mitgliedern bzw. Ausleihern ist.

Warum auch, so die Meinung der Schlitzer. Denn – so die gängige Meinung auf der Gasse - wir kennen diejenigen, die da sind! Diese Folgerung ist nicht falsch. Aber ist sie damit richtig? Besser ist es sich zu fragen, warum so wenige Jugendliche und Kinder den Weg in die genannten Einrichtungen finden!

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