Eine ordentliche Tracht Prügel im Namen Jesu

Wenn dem ehemaligen Augsburger Bischof Mixa vor dreißig Jahren einmal die Hand ausgerutscht sein soll, dann war dies doch nur eine harmlose Backpfeife. So der Tenor auf der Gasse. Und eine Backpfeife ist doch keine massive körperliche Gewalt gegenüber einem Kind.

Doch Bischof Mixa ist ein Kind seiner Zeit. Und in dieser Zeit, bis in die Mitte der Sechziger Jahre hinein, waren Backpfeifen und Schläge mit dem Rohrstock auf die Fingerkuppen oder auf den blanken Po in den deutschen Klassenzimmern keine Seltenheit.

1964 wurde ich in Rastatt, einer Kleinstadt in der Nähe von Karlsruhe, eingeschult. Wie zu Kaiser Wilhelms Zeiten auf dem Kasernehof mußten wir, Grund- und Hauptschüler, in der großen Pause um unseren Direktor herum in einem großen, geschlossen Kreis um diesen herumpilgern. So gut wie keiner wagte aus der Reihe zu tanzen. Und wenn doch einmal ein Würstchen erblickt wurde, dann galt es die Backen zusammenzuhalten und nicht zu widersprechen. Denn Widerworte waren das letzte, was der Direktor dulden konnte. Und so waren Backpfeifen in der Großen Pause keine Seltenheit. Wobei an dieser Stelle gesagt werden muß, dass dieser Direktor kurze Zeit später pensioniert wurde. Und er blieb der einzige Lehrer, der während meiner Schulzeit die Backpfeife als Erziehungsmittel einsetzte.

Aber – so der allgemeine Tenor in dieser Zeit – es trifft selten die Falschen. Schließlich ist der Direktor eine Respektsperson, die es zu achten gilt. Und mit gleichem Selbstverständnis ging der geistliche Hirte der katholischen Gemeinde zu Werk. Hier verging kaum eine Unterrichtsstunde in der der Pfarrer nicht zu mindest einen Schüler mit der Hand schlug. Seine Spezialität war die Jungs an den Koteletten hochzuziehen. Dabei zog er uns so weit in die Höhe, bis wir auf unseren Zehenspitzen standen. Und wehe unsere Widerworte hatten den Zorn des Pfarrers besonders erregt, dann ließ sich der Grad der Erregung an allen fünf Fingern auf unseren Wangen ablesen. Hierfür ließ er am Scheitelpunkt die Haarspitzen kurz los und drosch mit seiner Innenhand in Richtung der Wange.

Auch mich erwischte es einmal in der vierten Klasse so heftig, dass ich aus der Schulbank heraus gegen einen Heizungskörper flog. Nun wurde mein Vater, der im Stadtrat saß, rebellisch. Geändert hat sich fast nichts. Unser Pfarrkurat übersah mich die letzten Monate in der Grundschule mit Fleiß und watschte währenddessen meine Klassenkameraden fleißig weiter. Selbst meine Geschwister, die zwei und fünf Jahre später eingeschult wurden, erlebten diese massive Gewalt regelmäßig im Religionsunterricht der Grundschule.

Als ich Ende der Sechziger Jahre ein katholisches Internat im Bistum Fulda besuchte, machte ich erneut Bekanntschaft mit körperlicher Gewalt. Auch hier ging sie von einem Mitarbeiter der Kirche aus, nämlich von dem damaligen Heimleiter des mittlerweile aufgelösten Konvikts. Auch diesem Menschen gingen die Widerworte seiner Schäfchen gegen den Strich. Auch dieser reagierte mit Ohrfeigen und, wenn er die Beherrschung verlor, vergriff er sich nicht selten in der Wahl seiner Mittel. Es setzte in diesen Fällen eine ordentliche Tracht Prügel.

Das perfide an diesen Ausbrüchen war, dass immer nur die Kleinen und Schwachen diese Ausbrüche erdulden mussten. Die Großen und die Verlorenen, wie er das Häuflein der Unberechenbaren nannte, blieben davon verschont. Sie bekamen stattdessen Taschengeldentzug oder ihnen wurde der Besuchstag gestrichen. Alles in allem Strafen, die wir leicht verschmerzen konnten. Sie taten nicht weh. Zum einen kamen meine Eltern, die die weite An- und Abfahrt mit dem Auto scheuten, ganz selten zu Besuch. Zum anderen hatten die meisten Schüler in der Mittelstufe sich bereits ein Postsparbuch eingerichtet. Und so spielten die paar Groschen vom Taschengeldkonto, die als Strafe verweigert werden sollten, keine Rolle mehr.

Die Zustände im Schrobenhausener Waisenhaus, wie sie jetzt zu Tage kommen, waren trauriger als meine Zeit im Konvikt St. Johannes. Aber alle Übergriffe gegenüber Schutzbefohlenen, sei es körperlicher, sexueller und seelischer Art, sind ein Missbrauch.

Bleibt die Frage, warum Seelsorger, wie Bischof Mixa oder mein Heimleiter, so lange körperliche Gewalt sähen konnten? Sie konnten es nur, weil lange Zeit weder die Kirchen noch der Staat die Pfarrer oder deren kirchliche Mitarbeiter als Pädagogen wahrgenommen haben. Und natürlich auch, weil viele Eltern über die körperlichen und sexuellen Übergriffe hinweggesehen haben.
OttoP - 19. Jul, 13:23

Welche Schule?

War das die Karlschule in Rastatt?
Kann die Vorgehensweise mit den Ohrfeigen so auch bestätigen, wenngleich ich erst gegen Mitte der Siebziger das gleiche Schicksal mit einigen Mitschülern teilte.
Ich war mir aber nicht mehr sicher, ob das noch in der Grundschule war oder später meiner frühen Zeit im Gymnasium in Rastatt.

herrplattezumstein - 21. Jul, 18:45

Einer kommt selten allein

Offensichtlich war der angesprochene Hirte einer katholischen Gemeinde in Rastatt nicht der einzige Pfarrer im Ort, dem die Hand des Öfteren ausgerutscht ist. Mein Religionslehrer unterrichtete an der Max Jäger Schule im Zay und an der Hans Thoma Schule am Röttererberg. Als Pfarrer leitete er die hier in diesen beiden Stadtteilen liegenden Pfarreien.

Wie konnte dieser Herr seine Wut an Schutzbefohlenen so ganz öffentlich ungestraft ausleben? Keiner, egal ob Lehrer, Eltern oder der Pfarrgemeinderat, kann behaupten, er hätte niemals Klagen der Grundschüler über ihren prügelnden Pfarrer gehört. Alle haben vor dieser Person gekuscht, denn er war ein geschliffener Rhetoriker. Er wusste genau, welche Töne er in welcher Situation anschlagen musste. Mal drohend, schneidend wie ein Schwert, mal besänftigend, wie eine Packung Schmierseife.

Es fehlte damals die klare Ächtung von körperlicher und seelischer Gewalt. So lässt sich auch das passive Verhalten des damaligen Pfarrgemeinderates erklären. Für diese Damen und Herren war ihre kleine Welt auf dem Röttererberg in Ordnung. Sie waren damals lediglich um den Aufbau einer neuen Kirchengemeinde im Neubaugebiet bemüht. Dabei konnten sie natürlich alles gebrauchen, nur keine öffentliche Auseinandersetzung mit einem prügelnden Pfarrer.

Heute ist die Gesellschaft bereit gegen jede Art von Gewalt aufzustehen. Sicher mit wechselnden Erfolgen. Dennoch ist unübersehbar, dass selbst in zähen Strukturen, wie in der Kirche, heute ein gewisses Maß an Transparenz herrscht.

Betrachte ich den Internetauftritt dieser Katholischen Kirchengemeinde, dann habe ich die Hoffnung, dass hier eine lebendige Gemeinde existiert, die keine Gewalt in ihren Reihen duldet. Insofern gehe ich davon aus, dass die Tatsache, dass dieser mittlerweile pensionierte Pfarrer noch immer in der Gemeinde seelsorgerische Arbeit leistet, lediglich als Gnadenakt einem alten Mann gegenüber zu werten ist.

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