Gute Nacht um halber Sechs!

Deutschland droht unterzugehen. Dies die Botschaft des Herrn Thilo Sarrazin, Ex SPD Senators und Ex Bundesbanker. Schuld an allem seien in erster Linie die integrationsfeindlichen Moslems, die Türken und Araber. Sie seien – im Schnitt - geistig unterbelichtet, dafür aber enorm reproduktionsfreudig. Ursache sei die genetisch bedingte Disposition dieser Rasse. Gleiches Manko wie die Moslems sollen auch auf die über 2,5 Millionen deutschen Hartz IV Empfänger zutreffen.

Jetzt schreien natürlich alle auf. Die Moslems, die Juden, die Hartz IV Empfänger, sämtliche Parteien von links nach rechts, die Kirchen und vor allem die Bürger. Wobei immer deutlicher wird, dass Herr Sarrazin mit seiner These die breite Öffentlichkeit mit über 60 % Zustimmung hinter sich weiß.

Dabei ist die Diskussion um die nationale Identität ein alter Zopf, der alle 10 Jahre neu im Backhaus der nationalen Bäckerzunft neu durchgeknetet wird. Da erhob 1998 einen greiser Schriftsteller vom Bodensee, Martin Walser, seine Stimme. Er forderte die Deutschen auf endlich stolz auf ihr Land zu sein. Zuerst erntete er stehenden Applaus in der Paulskirche, im Laufe der folgenden Tage setzte es Prügel für Herrn Walser. Weitere 10 Jahre später fingen die Schatten der „deutschen Leitkultur“ an durch die Lande zu wabern. 2007 nahm die Union diese Forderung in ihre beiden Grundsatzprogramme auf. Denn – so die CDU - nur das Bekenntnis zur deutschen Leitkultur und die damit verbundene Identifikation mit dieser ist eine Voraussetzung für eine erfolgreiche Integration. Und die CSU? Die Bayern sind gradliniger. Hier ist die Leitkultur ein Geflecht aus Sprache, Geschichte und Tradition der Kulturnation und natürlichen aus den christlichen-abendländischen Werten.

Oh je, bin ich tumber Tor ein Deutscher? Natürlich. Ich bin hier geboren, meine Eltern, in der x-ten Generation, sind auch hier geboren. Aber schon mit näherem Blick auf die Generationen wird es sehr holprig auf dem deutschen Pfad. Denn je schneller sich das Rad der deutschen Geschichte dreht, desto stärker wirken sich die Veränderungen in unserer Gesellschaft aus. Wenn ich alleine nur meine knapp über 50 Lebensjahre nehme.

Ich bin mit vielen „Volksdeutschen“ aus Nieder- und Oberschlesien, aus dem Sudetenland, aus dem Banat und Siebenbürgen und den ersten Gastarbeiterkindern aus Italien, Spanien und Portugal zur Schule und auf den Fußballplatz gegangen. Zusammen haben wir die Umwälzungen der 68 Jahre erlebt und gemeinsam haben wir an diesem Honig geleckt. Dann kommt die Erdölkrise zusammen mit der Rezession der 70 Jahre und im Schlepptau der Heiße Herbst. Womit wir bei den Grünen, der Friedenbewegung und anderen Ausschlägen, wie Poona wären. Und natürlich hat sich bei uns der technische Fortschritt über die Jahre eingenistet. Jeder hat ein Telefon, Schallplattenspieler, Farbfernseher und kann mit seinem Auto in den Urlaub fahren. So ganz langsam, heimlich still und leise, beginnt sich Mitte der 80 iger Jahre die Arbeitswelt zu verändern. Langsam, aber stetig werden der Kündigungsschutz und die Tarifautonomie aufgeweicht. Immer in kleinen Raten.

Wenn ich die rasanten Veränderungen, die ich erlebt habe, mit denen, die meine Urgroßeltern erfuhren, vergleiche, dann haben wir – außer unserer gemeinsamen Sprache - über den gleichen Zeitraum von 50 Jahren kein gemeinsames Deutschland erlebt. Noch nicht einmal die Grenzen, in denen wir unser Dasein fristen bzw. gefristet haben, sind die gleichen. Ebenso sind unsere Traditionen, die uns geprägt haben, unterschiedlich. Hier Kleinbürger, Bauern und Tagelöhner, allesamt Monarchisten und Christen, dort wir, Angestellte, Mittelstand, Republikaner und aus der Kirche ausgetreten. Also bitte, wo ist das angeborene Gen mit Namen „Nationale Eigenschaft“?

Das Gen „Nationale Eigenschaft“ gibt es nicht. Wohl aber eine gemeinsame Sprache, die unsere Erfahrungen über die Generationen mit all den geistigen Strömungen und Traditionen transportieren kann. Jetzt, im Zusammenhang mit der Integration der Migranten, die Keule „Deutsche Leitkultur“, zu schwingen ist sinnlos, überflüssig und geht total an der Sache vorbei. Denn unsere Muttersprache bekommen wir in die Wiege gelegt und saugen sie mit den damit verbundenen Inhalte, wie Normen und Werte, mit der Muttermilch auf. Wenn nun alle wieder von Deutscher Leitkultur sprechen, dann heißt dies nicht anderes, als dass hier die deutsche Kultur, die in den Adern der hier geborenen Deutschen fließt, die Lufthoheit über die fremden Kulturen der zugewanderten Mitbürgern haben soll.

Richtig ist, dass man sich in einem fremden Land nur integrieren kann, wenn man dessen Sprache spricht. Nur so kann ich mich einleben und in die Gemeinschaft erfolgreich einbringen. Nur wird dabei – besonders in der aktuell tobenden Debatte - vergessen, dass auf dem Boden der Bundesrepublik Deutschland das Grundgesetz gilt. In Artikel 1 heißt es: Die Würde des Menschen ist unantastbar.

Somit gilt für jeden Menschen, der Teil der deutschen Gesellschaft sein möchte, egal ob nun Herrn Sarrazin, meine Wenigkeit, oder Muslime, Hindi oder Jude, die Unantastbarkeit der Würde eines Menschen. D.h. es kann nur eine Rote Karte für Rassenlehre und religiös geprägte Hatz gegenüber anderen Glaubensrichtungen geben. Niemand, der hier leben möchte, die deutsche Sprache beherrscht und hinter dessen Normen und Werten steht, befindet sich auf einer höheren Stufe der deutschen Leiter als sein Kollege. Wobei diese nicht mit einer Karriereleiter zu verwechseln ist.

Wenn Deutschland – nach Herrn Sarrazin – in absehbarer Zeit verblöden wird, dann nicht wegen den gebärfreudigen Türken, Arabern und Hartz IV Empfängern. Sondern wegen der fehlenden Bildung in unserem Staat. Seit Jahrzehnten wird in keinem der zahlreichen Bundeshaushalte so wenig investiert, wie in den Bildungsbereich. Das meist wird in den Sozialbereich, inklusive Gesundheitsbereich nebst Militärhaushalt, gepumpt. Und wenn wir genau hinschauen, dann werden aus dem Sozialbereich auch noch vollkommen sachfremde Leistungen, wie die Deutsche Einheit und der Aufbau Ost gezahlt.

Wenn wir in Deutschland das Lernen verlernt haben, dann hat dies seine Ursachen u. a. im uneinheitlichen Bildungssystem der Bundesländer. Über 40 Jahre wird hier darüber vortrefflich gestritten wird, aber niemals setzen sich die Parteien mit den Betroffenen, den Hochschulen, den Lehrern, den Eltern, Schülern und der Wirtschaft an einen Tisch und suchen gemeinsam nach des Pudels Kern. Der Osten, also die Ländern hinter dem ehemaligen Eisernen Vorhang, haben es in der Vergangenheit den Skandinaviern vorgemacht und die haben es uns vor kurzem über die PISA Studie gezeigt.

Die Bildung ist ein großes Haus, in dem lebenslang gemeinsam gelernt wird. Und das beginnt sehr früh im Hort, im Kindergarten und endet wohl oder übel kurz vor der Bahre. Nur wer sein ganzes Leben lang bereit ist zu lernen, wird in Zukunft den Anschluss in die global vernetzte Welt nicht verlieren.

Wobei hier natürlich die Frage nach dem Faktor „Arbeit“ gestellt werden muss, denn dieses Gut wird immer knapper werden. Was natürlich zur Folge hat, dass sich eine Gesellschaft, wie die bundesdeutsche, nun intensiv den Kopf zerbrechen muss, wie sie den Faktor „Arbeit“ künftig berechnen will. Also nur – wie bisher - auf die so genannten Erwerbstätigen, die vertragsmäßig in Lohn und Brot stehen, zu schauen, wird in naher Zukunft unmöglich sein. D.h. wir müssen über kurz oder lang auch die Tätigkeiten von Frauen und Männer mit einberechnen, die lediglich ihre Kinder, also unsere Zukunft, großziehen oder ihre alten und siechen Eltern oder Schwiegereltern, die Schöpfer des vorhandenen Wohlstands, pflegen. Beide Leistungen sind für das Wohl eines Staates unbedingt notwendig, schlagen sich aber aus Sicht der Erbringer bisher nicht bzw. kaum in deren Rentenberechnung nieder.

Dies heißt, dass jeder Bürger monatlich eine Art Grundsicherung, wir können es auch Bürgergeld nennen, bekommen muss. Das wiederum wird aus Steuereinnahmen eingespeist. Wo wir bei den Steuern sind. Denn alle deutsche Regierungen langen seit Jahrzehnten bei den indirekten Steuern und der Mehrwertsteuer ohne Gnade zu. Da diese Steuern in der überwiegenden Zahl die Verbrauchsgüter, also Dinge des täglichen Lebens treffen, sind von dieser Steuerlast – in der Spitze über 70% - vor allem die kleinerer Einkommen betroffen.

Somit ist dieses Gedöns um blöde und faule Kostgänger des deutschen Staates pures Blendwerk. Erst, wenn der deutsche Staat Ordnung in seinen Saustall gebracht hat und den hier lebenden Menschen reinen Wein einschenkt, dann kann er von seinen Bürgern verlangen, dass sie alle an einem gemeinsamen, deutschen Strang ziehen.

Aber so ist das ganze Geschrei um Integration der Migranten nur eine willkommene Abwechselung vom schnöden Tagewerk. Ein Beispiel aus der vergangenen Woche. Am Dienstag, also ein Tag nach Herrn Sarrazins Buchvorstellung, fordert die Bundeskanzlerin, dass künftig die Hartz IV Empfänger verstärkt in der Altenpflege eingesetzt werden sollen. Hintergrund ist der Fachkräftemangel in der Altenpflege und der von der EU für 2013 gebilligte Zugang von osteuropäischen Arbeitskräften aus Bulgarien, Rumänien, Ungarn, Polen, Estland, Lettland und Litauen auf den europäischen Arbeitsmarkt.

Zum einen fallen die benötigten Fachkräfte nicht von den Bäumen, oder – wie Herr Sarrazin sagen würde – nicht aus den Betten. Zum anderen schürt die Bundesmoderatorin mit solchen Vorschlägen die vorhandenen Ängste vor der Flut billiger Arbeitskräfte aus dem Osten Europas. Aber solche Vorschläge passen natürlich in den Rahmen dieser emotional geprägten Diskussion. Sie sind an die Adresse der national gesinnten Konservativen in der Union gerichtet. Frau Steinbach lässt grüßen!

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