Schicksal

Neulich im Fuldaer Bahnhof um die Mittagszeit. Angesichts des mäßigen Andranges vor dem Serviceschalter der Bahn, denke ich mir, „Schön, da kannste dich doch noch schnell nach der besten Verbindung nach Winterberg erkundigen!“ Gesagt, getan. Ehe ich mich umsehe, habe ich nur noch einen Mann vor mir. Hinter mir hüpft ein älterer, grauhaariger Mann ganz nervös von einem Bein auf das andere. In seinen Händen hält er eine Wartemarke und dreht diese ganz aufgeregt mit seinen Fingern hin und her. Mist, schießt es mir siedend heiß durch den Kopf, hier braucht man auch so ein lästiges Ding!

Kaum habe ich den Automaten entdeckt und trete einen Schritt zur Seite, um mir dort so ein Märkchen zu ziehen, da höre ich von hinten ein fieses Lachen. „Schicksal! Jetzt bin aber ich an der Reihe!“ Kaum ausgesprochen, da wird auch schon die nächste Wartenummer ausgerufen. Und um seinen Triumph ganz auszukosten, wirft der Mann noch schnell einen Blick auf sein zerknülltes Märkchen. Da schwillt mir der Kamm empfindlich an.

Doch aus irgendeinem Grund werde ich jetzt nicht laut, sondern atme zuerst einmal tief ein, dann wieder aus und versuche so, nach einigen Wiederholungen, meinen normalen Atemrhythmus wieder zu finden. Tatsächlich, es klappt! Ich werde ruhiger und beginne innerlich von meiner Zornespalme herunterzuklettern. Plötzlich kommt mir meine Oma in den Sinn, die in solchen Momenten immer ihren Herrgott anrief und diesen, in vergleichbaren Situationen, dann sofort um die gerechte Strafe für solche „Spitzbuben“ bat.

Bei dem Bild meiner Oma, vor Augen, mit ihrem gerechten Zorn im Gesicht, muss ich Schmunzeln. Langsam beginne ich mit meinen Augen meinen Widersacher zu suchen. Und siehe da, der grauhaarige Mann steht wenige Meter mit dem Rücken zu den Auskunftsplätzen gewandt ganz verloren im Raum herum. Offensichtlich sucht er etwas. Doch was kann das sein?

Plötzlich, mit Blick auf meine Wartemarke in der Hand, kommt mir die Erleuchtung. In Form einer Anzeigetafel,. Sie hängt im Wartebereich über dem Ausgabeautomaten und zeigt, neben der Nummer, die von einer Stimme über Mikrophon ausgerufen wird, auch den jeweiligen Serviceplatz auf, zu dem der Wartende sich hinbewegen muss.

Die Zeit scheint stehen zu bleiben. Nichts passiert, Der Mann verharrt immer noch auf der Stelle. Eine Mitarbeiterin hinter den Serviceplätzen beginnt ganz mürrisch in die Runde zu schauen. Ihr Blick verrät ob des regungslos in die Runde starrenden Grauhaarigen nichts Gutes. Prompt drückt sie auch auf einen Knopf. Eine Stimme aus dem Nichts ruft die nächste Nummer auf. Jetzt bin ich an der Reihe. Noch ein kurzer Blick auf die Anzeigetafel. Jawohl, am Serviceplatz Nr. 4, bei der zuvor mürrisch dreinschauenden Dame, werde ich erwartet.

Auf dem Weg zum Platz 4 bekomme ich mit, wie der mittlerweile aus seiner Erstarrung erwachte Grauhaarige sich bei einem anderen, mittlerweile freigewordenen, Mitarbeiter der Zugauskunft lautstark über das unübersichtliche Verfahren beschwert. Der Servicemitarbeiter lässt sich vom dem polternden Mann nicht aus der Ruhe bringen. Freundlich, aber bestimmt, lässt er sich dessen Wartemarke zeigen. Nach einem kurzen Blick auf seinen Monitor, meint er dann lächelnd, dass diese Nummer bereits von seiner Kollegin am Schalter 4 schon einmal aufgerufen wurde. Doch irgendwie scheint das Schicksal den völlig überrumpelt dreinblickenden Grauhaarigen nicht zu hart treffen zu wollen. Der Servicemitarbeiter fordert ihn auf am Schalter zu bleiben und fragt, was er denn für ihn tun könne.

Hat jetzt, um mit den Worten meiner Oma zu sprechen, der Grauhaarige seine gerechte Strafe gekriegt? Deshalb meine Frage an Dich, den Leser: Wie hältst Du es mit dem Schicksal?

● Ist Schicksal das Ergebnis einer Beurteilung durch Gott oder eines anderen Weltenrichters?

● Oder ist Schicksal Karma, die Folge einer jeder Tat?

● Oder hältst Du es, wie Berthold Brecht. Von ihm stammt der Satz: Das Schicksal des Menschen ist der Mensch“?

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