Im Kühlhaus

Neulich wachte ich mitten in der Nacht auf. An und für sich nichts Ungewöhnliches. In der Regel drückt die Blase. Doch diesmal war es ein Traum, der mich lange wach hielt.

Zusammen mit fünf weiteren Personen betrat ich einen großen, nackten Saal. Reichlich verloren nahmen wir in dem weiten Rund an dem einzigen Tisch, der dazu noch in der Mitte des Raumes stand, Platz. Dieser Tisch war, wie der Raum, ebenfalls groß, kahl, weil keine Tischdecke auf ihm lag, und blitzblank sauber. Eine Atmosphäre wie in einem Kühlhaus. Aber nicht nur diese Tatsache ließ mich frieren. Denn ehe ich mich umsah, hatten auch schon alle anderen ihre Plätze eingenommen. So blieb mir auch nichts anderes übrig, als da Platz zu nehmen, wo ein freier Stuhl stand.

Auf jeden Fall waren mir die Anwesenden nicht ganz fremd. Von meinem Gefühl her würde ich sagen, dass wir uns vom Sehen kannten. So gut, wie sich Menschen in einem Quartier eben kennen. „Guten Tag und Guter Weg , Herr Nachbar!“ Offenbar kamen wir zu einer Versammlung zusammen. Auf jeden Fall lag vor jedem Sitzplatz auf dem Tisch ein Stück Papier. Die Tagesordnung dieser Versammlung.

Kaum saß ich auf dem freien Platz, noch in der Jacke, begrüßte auch schon eine Frau mittleren Alters die Anwesenden ohne große Worte. Ohne große Überleitung war sie mit ihrer lauten, aber müde klingenden Stimme auch schon beim ersten Punkt der Tagesordnung. Dem Verlesen des Protokolls des letzten Treffens, an das ich mich kaum erinnern konnte. Ehe ich mich versah, nickten die um mich herum versammelten Männer artig mit ihren Köpfen und brummelten leise eine Art Zustimmung in ihre Bärte. Ähnlich schnell und mit kurzen Worten führte die Leiterin durch die Tagesordnung und ähnlich brav nickten die Männer die Punkte ab.

Ehe ich mich versah, war der Spuk vorüber. Alle fünf Mitsitzer am Tisch standen auf und gingen sichtlich zufrieden aus dem Kühlraum. So schnell kann eine Sitzung vorüber gehen. Da saß ich nun auf meinem Stuhl. So langsam verzogen sich auch die Nebelschwaden des erdrückenden Ernstes, der sich wie Blei über die Versammelung gelegt hatte. Plötzlich wurde es mir, obwohl ich wegen der Kälte im Raum die ganze Zeit heftig fror und meine Jacke anbehalten hatte, heiß. Mein Puls schlug auf einmal heftig und die Halsader begann unvermittelt stark anzuschwellen. Ich hatte das Gefühl zu ersticken. Was war das den jetzt? Statt auf den Tisch zu klopfen und „Halt“ zu schreien, nahm ich mir noch einmal das Blatt mit der Tagesordnung vor.

Hier wurden – mit einer Ausnahme - ganz banale Dinge besprochen, die keiner hoch offiziellen Sitzung bedurft hätten. In der Verwaltung würde es heißen: „Dafür haben wir einen Hausmeister!“ Oder eine andere brave Seele. Hingegen der Tagesordnungspunkt, der es - aus meiner Sicht - in sich gehabt hätte, auf den ich mich die Tage vorher intensiv vorbereitet hatte, der wurde am Schluss der Versammlung schnell abgehakt. Mit dem stereotypen Satz: „Das bringt doch nichts!“

Und wie ich mir diesen Satz immer wieder geistig vorspreche, ihn gewissermaßen auf der Zunge zergehen lasse, geschieht etwas Sonderbares. Die Durchgangstür zum Kühlraum geht mit einem lauten Knall auf. Plötzlich erfasst mich eine heftige Ladung der hereinströmenden, frischen Prise. Ich bekomme wieder Luft. Endlich! Nachdem ich ein paar tiefe Züge eingeatmet habe, beginne ich wieder ruhiger zu werden. So ruhig, dass ich in dem Moment der Entspannung davon wach werde.

Nun ist das immer so eine Sache mit den Träumen. Zum einen träume ich recht selten. Zumindest erinnere ich mich selten an sie. Zum anderen bin ich kein Psychologe. Aber dieser Traum spricht ein Gefühl an, dass mir in meinem Alltag öfter begegnet. Nämlich die Tatsache, dass ich bei Entscheidungen die Ernsthaftigkeit von meinen Mitmenschen verlange, wie ich sie von mir verlange.

Ob die Entscheidungen aber die Tragweite für meine Mitmenschen haben, wie sie sie für mich haben, übersehe ich gerne. Zum einen gibt es da die unterschiedlichen Ansprüche und Erwartungen der Menschen an ihr Leben. Zum anderen die unterschiedlichen Werdegänge jedes einzelnen Menschen.

Nur mir ging der Ritt durch den Parcours der Tagesordnungspunkte zu schnell. Nur ich habe das Gefühl gehabt in einem Kühlraum zu sitzen.

Zur Abwechselung noch ein paar Takte des kanadischen Pianisten Chilly Gonzales

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