"Wie war ich?"

Neulich abends. Gegen 21 Uhr. Noch immer liegt die Affenhitze des vergangenen Tages über dem beschaulichen Dorf – irgendwo zwischen der Rhön und dem Vogelsberg.

Einsam und allein schlurft ein Mann in kurzen Hosen, T-Shirt und mit alten Badeschlappen an den Füßen zum Dorfbrunnen im Oberdorf. In seiner rechten Hand hält er eine grüne Gießkanne aus Plastik.

Gedankenversunken taucht er sein leeres Behältnis in den Trog ein. Schnell läuft die Gießkanne unter dem Blubbern vieler Blasen voll. Ein kurzer Ruck durchfährt den Mann. Mit beiden Händen am Griff der Gießkanne hebt er diese aus dem Trog und stellt seine Last auf dem Brunnenrand ab.

Plötzlich ertönt eine helle Frauenstimme. „Bist´e bald fertig mit dem Gießen, Herr Nachbar?“ Erschrocken dreht sich der Gießer um. Sichtlich überrumpelt erwidert er, dass er nur noch ein paar Gänge zu erledigen habe. Sprach´s und geht ohne weitere Notiz von der Frau zu nehmen an ihr vorbei in Richtung seines Gartens, der nur ein paar Schritte entfernt liegt.

Nach kurzer Zeit schlappt er wieder in Richtung des Dorfbrunnens. Doch kaum hat er diesen erreicht, kommt ihre bessere Hälfte auf den Brunnen zugelaufen. Der Ehemann trägt – wie der Gießer - ebenfalls eine kurze Hose. Doch statt Badelatschen trägt er Sandalen, Socken und ein weißes Unterhemd. In der rechten Hand hält er ein Weizenbierglas.

Ohne große Regungen erkennen zu lassen, taucht der Gießer neuerlich sein Behältnis in den Brunnen. Doch kaum erklingen die obligatorischen Blasen aus dem Inneren der voll gelaufenen Kanne, fragt der Weizenbiertrinker, ob der Gießer heute Abend schon den Fernseher angehabt habe. Die volle Kanne in beiden Händen haltend, brummelt der Gießer ein kurzes „Ja!“ Das wiederum reicht dem redseligen Mann nicht. „Hast Du heute Abend keine Nachrichten geguckt? Hast du mich nicht gesehen? Wie war ich?“

Wie er war? Kopfschüttelnd hält der Gießer noch immer seine voll gelaufene grüne Plastikgießkanne in beiden Händen. Offensichtlich fällt der Groschen beim Gießer noch immer nicht. „In der Tagesschau bist du nicht gekommen!“ Sprach´s und schlappt in Richtung seiner durstigen Pflanzen davon. Auf diesen kurzen und ziemlich unfreundlichen Abgang ist der verdutzte Weizenbiertrinker nicht vorbereitet. So ruft er dem Gießer noch hinterher „Aber in der Hessenschau bin ich gekommen!“

Jetzt dreht sich der Gießer, der mittlerweile sein Gartentor erreicht hat, noch einmal in Richtung des Weizenbiertrinkers um. Und als ob in diesem Moment der Zündfunke endlich übergesprungen ist, lacht der Gießer plötzlich laut auf und stellt seine Kanne ab. Was kommt jetzt? Mit leichtem Grinsen im Gesicht und merklich entspanntem Unterton in der Stimme ruft er zurück: "Hoffentlich bist`e nicht zu kurz gekommen!"

Nachdem der Weizenbiertrinker noch kurz einen ordentlichen Zug aus seinem halbvollen Glas genommen hat, erwidert er im Brustton der Überzeugung: "Na ja, meine Frau meint, dass es für den Aufwand zu kurz war!" Daraufhin meint der Gießer nur noch: "Hauptsache du bist gekommen!" Schon hat er seine Kanne wieder in der Hand und wackelt entspannt und froh gelaunt davon.

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