Ein bißchen mehr gehört dazu

Heute früh fragt mich unser Jüngster: „Hast du schon unsere Eintrittsbändchen für das Trachtenfest gekauft?“ Verdammt noch mal, das habe ich natürlich wieder versiebt. Noch 4 Tage bis zum größten Fest in der Gegend. Es findet nur alle zwei Jahre statt und lässt vier Tage lang die Stadt und seine 16 umgebenden Dörfer Kopf stehen. Also setzen wir uns an den Rechner.

Sofort entdeckt unser Sohn, dass man in diesem Jahr erstmals die Eintrittsbändchen auch per Internet bestellen kann. Schön für die Menschen, die sich rechtzeitig für diese Alternative entscheiden. Schlecht für uns, die wir auf dem letzten Drücker daher kommen. Denn solche Bestellungen müssen zuerst einmal bearbeitet werden. Das ist mir zu heiß. Bleibt uns also nur noch der Weg zur Stadtverwaltung, wo Interessierte bis zuletzt ihre Bändchen kaufen können.

Kaum sitze ich im Auto, da kommt unser Jüngster auf den Hof gerannt und gibt mir ein Zeichen, dass ich stehen bleiben soll. „Papa, vergesse auf der Stadt nicht nach dem braunen T-Shirt zu fragen. Es wird extra zum Trachtenfest mit einem Aufdruck der Jahreszahl 2011 herausgegeben!“. Okay, € 12,-- für ein T-Shirt bringen die Welt auch nicht ins Wanken.

Auf der Stadtverwaltung angekommen suche ich erst einmal vergebens ein Hinweisschild, das mich zu meinen Bändchen und den T-Shirts führen könnte. So wende ich mich an die junge Dame am Empfang und frage sie, wo es denn die Bändchen zu kaufen gebe. „Da müssen sie 2 Treppen rauf, rechts, dann am Ende des Gangs noch eine Treppe hoch und wieder den Gang entlang. Dann kommen Sie zum Bauamt. Hier bekommen Sie im zweiten Zimmer Ihre Bändchen.“ Puh, mag sein, dass man als Einheimischer den Weg dorthin findet, als Ortsfremder sehnt man sich sicher eine Wünschelrute herbei, um zu den Eintrittsbändchen geführt zu werden.

Im 2. Zimmer des Bauamtes geht alles ganz fix. Freundlich lächelnd fragt mich die ältere Dame, was sie für mich tun kann. Ich sage ihr, dass ich 6 Bändchen für die vollen 4 Tage haben möchte und zücke meinen Geldbeutel. Ein Bändchen kostet € 12, sechs kosten dann € 72. Was kann ich sonst noch für Sie tun?“ Ich erkundige mich schmunzelnd nach den T-Shirts, worauf sie mir antwortet, dass ich diese, ein Stockwerk tiefer, beim Städtischen Wohnungsamt bekomme. Also wieder ein Streifzug durch das alte Fachwerkgebäude!

Dort stehe ich erst einmal vor einer geschlossenen Türe. Als gelernter Bürger klopfe ich zuerst an und warte einige Zeit. Obwohl ich dahinter Stimmengemurmel höre, rührt sich nix. Also warte ich noch und klopfe erneut. Wieder keine Reaktion. Nun traue ich mich, drücke die Klinke nach unten und trete ein. Zuerst bemerke ich einen Sachbearbeiter, der angestrengt telefoniert. Rechts und links um ihn und seinen Schreibtisch herum stehen zahlreiche große Kisten am Boden. Mein Herz beginnt zu hüpfen, denn hier bekomme ich offensichtlich die T-Shirts. Doch der Sachbearbeiter zeigt mir gegenüber keine Regung, er ist mit seinem Telefonat beschäftigt. Stattdessen vernehme ich eine zarte Männerstimme aus einer Ecke, die mich fragt, was ich hier wolle. Ganz verdutzt von dieser unsichtbaren Stimme drehe ich mich um und sage mein Sprüchlein auf. „Ich möchte gerne ein braunes Leibchen mit Jahreszahl in Größe S!“. Doch die Antwort des jungen unscheinbaren Mannes, offensichtlich ein Lehrling, ist enttäuschend, denn es gibt nur noch blaue T-Shirts in den Größen M, L und XL.

Schade! Da hätte ich einige Tage eher die Amtsstube aufsuchen müssen. Bleiben nur noch die blauen T-Shirts. Aber nirgendwo in diesem kleinen Zimmer sehe ich eines der Objekte auf einem Bügel als Ausstellungsstück hängen. Verwunderlich, denn immerhin wirbt der Veranstalter in der örtlichen Zeitung damit, dass es in diesem Jahr - neben der braunen Sonderedition - noch T-Shirts mit zwei verschiedenen Motiven in allen erdenklichen Größen geben soll. Als ich den jungen Mann frage, ob er mir nicht die beiden verschiedenen Motive zeigen könne, trifft mich der strafende Blick des noch immer telefonierenden Mannes. Wie vom Donner gerührt, halte ich inne und schaue betroffen zu Boden. Wie kann ich um alles in der Welt vergessen, dass ich in einer Amtsstube stehe! Hier wird gearbeitet. Eine Amtsstube ist kein Bazar, wo T-Shirts verhökert werden. Richtig, aber dann dürfen die Verantwortlichen aber auch keine Werbung für die T-Shirts machen.

Ganz kleinlaut weise ich den jungen Mann, der in der Zwischenzeit aus der Ecke an den Schreibtisch des Sachbearbeiters getreten ist, auf die ganz rechts neben ihm stehenden drei Kisten mit der Aufschrift: „braun“ hin. Die sind, so seine Antwort, für die teilnehmenden Gäste des Trachtenfestes. Damit sind die Mitglieder der Volkstanzgruppen aus über 14 Nationen gemeint, die diese Hemdchen zur Erinnerung an das Trachtenfest 2011 mit nach Hause nehmen dürfen.

Eigenartig. Der Slogan, mit dem das Trachtenfest wirbt, heißt doch: „Die Welt trifft sich bei Freunden“. Da sollte man doch vermuten, dass der Veranstalter alles daran setzt, dass jeder, Einheimische, Gäste aus nah und fern sowie die Mitglieder der Volkstanzgruppen, diese Botschaft in die große, weite Welt tragen möchten. Dass dieser Wunsch wegen kleinerer Lappalien, wie den Öffnungszeiten der Stadtverwaltung oder mangelnder Präsentation der T-Shirts und Bändchen nicht - wie gewünscht – umgesetzt werden kann, will mir nicht in den Kopf.

Traurig verlasse ich die Stube und laufe über knarrende Gänge und Treppenstufen in Richtung des Ausgangs. Zuhause ist unser Jüngster natürlich traurig darüber, dass er kein braunes T-Shirt bekommen kann. Aber schon nach kurzer Zeit kann er wieder lachen. „Papa, wenn wir 2011 die Bändchen im Internet bestellen können, dann kann ich 2013 auch dort die T-Shirts kaufen!“

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