Magischer nächtlicher Zauber

Ein Abend, wie jeder andere. Natürlich sitze ich wieder einmal zu lange vor dem Rechner und natürlich ärgere ich mich wieder über mich selbst. Mit dem Vorsatz, dass morgen alles besser wird, schnappe ich mir unsere Dackeline und mache ich auf zur letzten Hunderunde.

An der letzten Laterne vorbei, empfängt mich tief dunkle Nacht, die ihren langen Mantel ohne Vorwarnung über mich wirft. Da stehe ich nun hilflos im Finsteren. Ohne die Schemen des Weges zu erkennen, tappe ich vorsichtig Schritt für Schritt voran. Leiten lasse ich von jetzt an von meinem Gehör. Das freudige Plätschern des Baches im linken Ohr und das hohe Blöken einiger Tage alter Lämmer aus Nachbars Scheune im rechten Ohr. Kaum habe ich den Stall erreicht, bekomme ich den Duft von Heu und warmen Tierkörpern in die Nase. Das tut gut! Zeigt es mir doch, auch wenn ich fast nichts mehr sehe, dass ich mich auf meine Sinne verlassen kann.

Begleitet werde ich die nächsten hundert Meter nur noch von dem lauten, aber fröhlichen Treiben des kleinen Baches, ehe sich unsere Wege teilen. So langsam merke ich, dass ich in der Nacht angekommen bin. Die Augen beginnen sich in der Dunkelheit zu orientieren. Da vorne mache ich schon die Schemen eines stattlichen Baumes mit weit ausladenden Ästen aus. Das wird die Birke sein, an der sich unser Weg, der des Baches und meiner, trennen werden. Die Schritte auf dem harten Pflaster beginnen fester und schneller zu werden. Meine Augen richten sich nicht mehr nur auf den Weg und seine Umgebung. Ich schaue in den Himmel.

Und da ist er wieder. Der magische nächtliche Zauber. Es grüßen mich unzählige blinkende Sterne und Flugzeuge. Egal, in welche Richtung ich mich jetzt zu drehen beginne, sehe ich bekannte und unbekannte Sternbilder am nun fast wolkenlosen Himmel. Die Flugzeuge, deutlich erkennbar an ihren aufleuchtenden Positionslichtern, ziehen auf ihrem Weg von und nach Frankfurt auf unterschiedlichen Etagen ihrer Routen unter den weit entfernt liegenden Sternen hindurch. Automatisch greife ich in die Jackentasche und fingere mir eine Fluppe aus der Zigarettenschachtel heraus. Sie anzustecken ist kein leichtes Unterfangen, denn es weht mir eine bitterkalte Brise um die Ohren. Endlich ist es geschafft, die Zigarette brennt. Und ich kann wieder meinen Kopf in den Nacken legen und gebannt in den Himmel starren.

Was ich da sehe? Ein rundes Himmelszelt, unter dem alles und nichts sein Platz hat. Alles, damit meine ich das Universum, die Sterne, die Himmelskörper und wir kleinen Menschlein. Mit nichts meine ich mich, das kleine Männlein auf der runden Erdkugel, das da scheinbar verloren im Dunkeln herumtapert. Ob das allumfassende Universum oder das kleine Menschlein, alle haben ihren Bezugspunkt und ihre Erdung im großen Ganzen. Klar, ein kleines Menschlein, das nur seine Erde kennt, zieht die Grenzen seiner Welt enger, als das Individuum, das weitere Teiles des Universums erfahren hat. Aber alles in allem sind Grenzen gesetzt. Keiner hat je das große Ganze erblickt; immer nur ein Teil davon.

Dennoch, oder gerade deshalb, vermittelt mir eine Nacht das Gefühl von grenzenloser Hoffnung. Hier will ich nicht wissen, was nach den Sternen, oder gar dahinter, in anderen Galaxien, steckt. Hier stehe ich zufrieden unter einem großen Zelt, schaue nach rechts und links, suche Sternbilder und lasse mich treiben. Zuerst versuche ich mich, wie alte Seefahrer, auf einem bestimmten Kurs in der dunklen Nacht zu halten. Dann aber, je länger ich sicher den Kurs auf großer Fahrt halte, werde ich wagemutiger. Ich verlasse bekannte Routen und lasse mich treiben. Ein herrliches Gefühl, mit beiden Beinen fest auf dem Boden stehend und mit dem Geist irgendwo im end- und zeitlosen Raum unterwegs.

Solche Schwebezustände zwischen Himmel und Erde erlebe ich nicht oft. Umso mehr genieße ich diese raren Momente und verschließe sie – tief in meinem Inneren – in einem speziellen Gefäß; der inneren Gefühlsdose. In ihr schweben allerdings keine einheitlichen Gefühle. In ihr jagen, gleich dem berühmten Dschinni in Aladins Wunderlampe, gute und schlechte, große und kleine, bedeutende und unbedeutende Gefühle umher. Sie warten nur darauf im passenden Moment die Gefühlsdose verlassen zu können. Oder in die Dose hineinschweben zu können.

Die arme Dackeline! Derart vom seligen Gefühl gepackt, habe ich das kleine Geschöpf ganz und gar vergessen. Sie hockte, zitternd wie Espenlaub, bei der alten, schlanken Birke, während ich sinnierend in die Himmel starrte. Abmarsch! Nach Hause zurück, an den wärmenden Ofen - mit einem Glas Wein in der Hand und der Dackeline zu Füßen.

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