Stuttgart 21 – avanti diletanti

Ein Lehrstück wie die Wirtschaft die Politik benutzt und umgekehrt die Politik die Wirtschaft -zu Lasten des Gemeinwesen.

Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen. Die Kosten des Megaprojekts Stuttgart 21 laufen gewaltig aus dem Ruder. Der geplante unterirdische Bahnhof soll jetzt rund 6,5 Milliarden Euro und damit etwa zwei Milliarden Euro mehr kosten als zuletzt geplant. Das bisherige Kostenlimit wird damit um mehr als 40 Prozent überschritten.

Nach Informationen verschiedener Nachrichtenagenturen stimmten 18 der 20 Aufsichtsratsmitglieder der Deutschen Bahn für das Projekt. Es gab es eine Enthaltung und eine Gegenstimme.

Obwohl alle Befürworter in diesem Gremium der Bahn wissen, dass Stuttgart 21 mit der 40 Prozent Kostensteigerung unwirtschaftlich wird, geben sie grünes Licht. Denn den 2 Milliarden Mehrkosten stehen im Fall eines Ausstieges 2 Milliarden Beerdigungskosten für dieses Megaprojekt gegenüber.

Entlarvend die erste Stellungnahme des Stellvertretenden Aufsichtsratvorsitzenden der Deutschen Bahn, Alexander Kirchner. Seiner Meinung nach profitiere der Bund am meisten von der Fortführung von Stuttgart 21. Wenn nun das Projekt abgebrochen würde, dann – so der Vorsitzende der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft – hätte der Bund auch für die erheblichen Mehrkosten des Abbruchs geradezustehen.

Hoppla, der Bund? Der auch, aber auch die ebenfalls im Boot sitzenden Partner, das Land Baden-Württemberg, die Stadt Stuttgart und die Flughafenbetreibergesellschaft Stuttgart – so Bahnchef Rüdiger Grube. Da das Bundesland und die Stadt aber zuvor stets betont haben, dass sie eine weitere Explosion des Kostenrahmens von S 21 nicht mehr mittragen werden, legt Grube nach. Notfalls werde man die weitere Projektbeteiligung einklagen! Und das wird dauern. Einstweilen werden Tatsachen geschaffen. Sprich es kann nun weiter mit Vollgas kräftig Bohrlöcher ins Erdreich getrieben und mit dem Betonieren der Tunnelröhren begonnen werden.

Aber was bedeutet bei Licht betrachtet die Entscheidung des Aufsichtsrates? Dieses Gremium billigt die Entscheidung des Vorstandes der Bahn den Bahnhof trotz der Kostenüberschreitung von 2 Milliarden zu bauen. Damit legitimiert der Aufsichtsrat zugleich den bereits vor vierzehn Tage begonnen Bau am unterirdischen Durchgangsbahnhof. Ein Tor, wer von einem Gremium, wie dem Aufsichtsrat einer Aktiengesellschaft, mehr erwartet als reine Kosten und Nutzen Entscheidungen! Da bleibt kein Raum für eine Entscheidung zum Wohl der Allgemeinheit und zu Lasten der Deutschen Bahn AG.

Allerdings wird mit der Entscheidung des Aufsichtsrates nun aber erst der Öffentlichkeit die Niedertracht der Politik deutlich vor Augen geführt. Dabei war schon lange bekannt, dass zum Beispiel die durch den Tiefbahnhof mitten in Stuttgart frei werdenden Grundstücke bereits vor über zehn Jahren von der Stadt Stuttgart – mit Zustimmung des Stadtparlamentes - für 460 Millionen Euro von der Bahn gekauft wurden. Die Bahn hat also eine halbe Milliarde Euro von der Stadt Stuttgart erhalten für Nichts, denn zum einen rollen seit zehn Jahren weiterhin Züge in Richtung des alten Kopfbahnhofs. Zum anderen ist in den Verträgen festgeschrieben, dass die Stadt diese Flächen bis ins Jahr 2022 nicht nutzen kann.

Niederträchtig ist auch das Spiel der Berliner Politik. Kein Wunder, dieses Jahr stehen Bundestagswahlen an. So verhalten sich alle Parteien, die das Projekt S 21 befürworten - CDU/CSU, FDP und FDP - merklich mit Stellungnahmen zurück. Einzig die Grünen, ausgemachte Gegner von S 21, sind zu hören. Über den in S 21 verstrickten Winfried Kretschmann, dem ersten von den Grünen gestellten Ministerpräsidenten.

Nur der Baden-Württemberger hat einen Koalitionspartner, die SPD, an seiner Seite, der offen für den geplanten Tiefbahnhof einsteht. Was also kann Kretschmann tun? Er macht gute Miene zum bösen Spiel. Gelassen sehe er – so Kretschmann – einer gerichtlichen Auseinandersetzung entgegen. Doch dann gibt der Oberschwabe in dem ihm eigen charakteristischen Ton zu bedenken, dass er davon ausgehe, dass ein solcher Bahnhof nicht vor Gericht gebaut werden kann.

Doch, was will er tun, wenn bereits Geld in den Sand: sprich am Projekt S 21 kräftig weitergebaut wurde? Nichts! Auch wenn vielen Bürgern mangels Nachhaltigkeit solch ein Megaprojekt gegen den Strich gehen mag, dies ist der Weg, wie hierzulande die Politik von der Wirtschaft vor ihren Karren spannt wird.

S 21 ist kein Einzelfall. Elbphilharmonie und Berlin Airport lassen grüßen. Erst packen findige Wirtschaftskapitäne maßgebliche Politiker an ihrer Eitelkeit, bringen ihnen sprichwörtlich das Wasser im Maul zum Laufen und dann, wenn die Katze im Sack ist, werden eben diese Politiker vor vollendete Tatsachen gestellt.

Wer aber glaubt, solche Eskapaden beschränken sich nur auf Großprojekte, der träumt. Mittlerweile werden auch in den Landkreisen und Gemeinden auf diese Art und Weise Projekte wider allen Grundsätzen der Nachhaltigkeit durchgepeitscht. Kein Wunder, dass dabei immer mehr empörte Bürger auf die Palme klettern.

Nur, was oder wem hilft es? Die Politiker landauf und landab stellen sich taub. Doch diejenigen Politiker, die immer nur die nächsten Wahlen vor den Augen haben, sollten nach Italien schauen und das Ergebnis der jüngsten Wahlen analysieren. Beppe Grillo und die Bewegung der 5 Sterne sind die Gewinner und das, obwohl sie mit dem Ziel zur Wahl antraten, mit keinem der anderen Parteien zusammenzuarbeiten. Mit ihren 25 % Prozent können sie als die Matchwinner angesehen werden.



Auch, wenn sich nicht voraussagen lässt, ob die 5 Sterne ihren Kurs durchziehen oder durchhalten werden, haben sie mit ihrer Verweigerungshaltung den etablierten Parteien gegenüber Recht. Diesen geht es nur um ihre Teilhabe an der Macht im Staat und nicht um das Wohl seiner Menschen, die in diesem Staat leben und ihn mit ihrer Hände Arbeit am Leben halten.

So jetzt ist es raus. Ich kann von meiner Zornespalme runterklettern. Bleibt die Frage, ob ich mit meinem Parteienfrust und dem Wunsch nach einem deutschen Komiker, a´la Beppe Grillo, alleine bin? Oder auf dem Holzweg? Über jeden Kommentar freue ich mich!

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